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Abschiedlich leben – Gedanken nicht nur zum Totensonntag

Nehmt Abschied, Brüder,
ungewiss ist alle Wiederkehr!
Die Zukunft liegt in Finsternis
und macht das Herz uns schwer“,

So beginnt der Refrain eines Liedes, das bei den Pfadfindern gerne gesungen wird. Es geht dann weiter:

Der Himmel wölbt sich übers Land.
Ade, auf Wiedersehn.
Wir ruhen all in Gottes Hand,
lebt wohl, auf Wiedersehn.“

Die Zukunft liegt in Finsternis. Abschied nehmen heißt immer: in eine ungewisse Zukunft gehen und einen Teil dessen, was zu meinem bisherigen Leben gehört hat, loszulassen. Das gilt für die, die gehen und die, die bleiben. Das macht das Herz schwer. Sogar dann, wenn auf der anderen Seite Neues schon winkt.

Wie schwer selbst der Abschied von Sachen fällt, habe ich vor vielen Jahren einmal in einem Selbsterfahrungsseminar erlebt. Wir sollten ein Foto, das uns lieb und wichtig war, mitbringen und wurden dann aufgefordert, es zu zerreißen. Ich hab lange mit mir und der Seminarleiterin gerungen, ob ich das tun soll und will. Und dabei gemerkt, was Abschied nehmen heißt: Loslassen.

Etwas, ein Mensch, ein Tier, eine Sache ist dann nicht mehr da. Nur noch in meinem Herzen.

Eine dunkle und grausame Geschichte der Bibel erzählt von einer Selbsterfahrung, die unvergleichlich tiefer geht. Es ist die Geschichten von Abraham, der sich mit seinem Sohn Isaak auf einen langen Weg begibt, an dessen Ende der Tod Isaaks stehen soll. Abraham soll seinen Sohn opfern. Ich stelle mir vor, wie Abraham auf diesem Weg mit sich und mit Gott ringt, bis er schließlich am Ende alles in Gottes Hand legt.

Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Gott einem Menschen befiehlt, sein Kind zu schlachten. Das ist wohl auch nicht der theologische Sinn dieser Erzählung. Aber eine tiefe Wahrheit liegt dennoch in der Geschichte: Gott mutet uns bisweilen Unzumutbares zu.

Ich habe Eltern kennen gelernt, die den gleichen unzumutbaren Weg wie Abraham gehen mussten: Abschied nehmen von ihrem zum Sterben verurteilten Kind. Das ist wohl der grausamste Abschied, den ich mir vorstellen kann. Einer hat einmal gesagt: Eltern sollten das nicht erleben müssen, dass ihr Kind vor ihnen stirbt. Aber manchen wird es zugemutet – und manche erleben, dass sie im Ringen mit Gott erfahren, wie ihnen Mut zuwächst. Aus Zumutung wird Zu-Mutung.

Neben den großen Abschieden gibt es die kleinen Abschiede. Merkwürdigerweise ist es für jeden Menschen anders, was für ihn ein kleiner und was ein großer Abschied ist.

Mir zum Beispiel fällt es schwer, etwas wegzuwerfen. Ich bin kein Messie, aber man weiß ja nie, wozu man dieses Kabel noch einmal brauchen kann. Andere werfen alles weg, was sie ein Jahr nicht gebraucht haben. Manchmal nehme ich mir das vor, aber gelungen ist mir das nie. Ich gehöre wohl eher zu den Sammlern: alles, was ich eingesammelt habe, gehört irgendwie zu mir. Habe ich deshalb mein Herz an Dinge gehängt? Ich glaube nicht, wirklich wichtig sind mir diese Dinge nicht.

Ein Abschied war für mich immer wieder, wenn meine Tochter wieder einmal irgendwo ins Ausland ging. Sie war ein Jahr in Australien, lebte drei Jahre in Wien, zwei Jahre in London. Es ist so selbstverständlich geworden in unserer Welt, dass Menschen, die wir lieben, anderswo hingehen. Und es ist leicht geworden, Kontakt zu halten. Aber wenn ich vierzehn Tage nichts von ihr höre, werde ich unruhig.

In der Bibel können wir lernen, abschiedlich zu leben. Sie erzählt von der ersten bis zur letzten Seite von der Endlichkeit der Dinge, der Menschen, der Beziehungen, ja der Welt selbst. Sie erzählt z.B. ein ganzes Kapitel lang, wie alt Menschen waren, als sie gestorben sind. Gleichzeitig erzählt sie die Geschichte vom Leben und Sterben als eine Geschichte Gottes mit den Menschen. Nur seine Liebe ist unendlich.

Die Bibel erzählt die Geschichte der Welt und der Menschen auch als eine Geschichte der Vorläufigkeit: Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. (Hebräer 13,14). Wir Menschen sind unterwegs, solange wir leben. Bis wir die zukünftige Welt erreicht haben.

Was abschiedlich leben heißt, drückt für mich eine jüdische Weisheit aus:

Wenn der Mensch geboren wird, dann hat er die Faust geballt, als wollte er sagen: alles gehört mir. Wenn er stirbt, hat er die Hände offen: Nichts habe ich, nichts nehme ich mit.“

Wie kann man so leben? Ich glaube, Lebenskunst besteht darin, um die Vorläufigkeit und Endlichkeit aller unserer Beziehungen zu wissen und gleichzeitig sie als das Wertvollste zu nehmen, was wir haben. Kaufet die Zeit aus, rät Paulus.

Als ich ein Junge war, verließ ein von mir bewunderter und geliebter Diakon unsere Gemeinde. Als er meine Traurigkeit beim Abschied sah, sagte er zu mir: „Horst, für Christen gibt es immer ein Wiedersehen.““

Manchmal weiß ich nicht, wie ich daran glauben soll. Aber dieser Satz hat sich tief in mein Herz eingesenkt.

(Leicht veränderte Fassung eines Blogs vom 20.11.2010)

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11 Kommentare

  1. Alfons2 29. November 2011

    Der Totensonntag ist zwar schon vorbei, aber abschiedlich leben ist ja ein Thema für jeden Tag.
    Das Wort abschiedlich ist mir heute zum ersten Mal begegnet und trotzdem verstand ich es sofort. Es erinnerte mich spontan an das Lied auf einer Begräbnisfeier:

    Wir sind nur Gast auf Erden
    und wandern ohne Ruh
    mit mancherlei Beschwerden
    der ewigen H e i m a t zu.

    Ich identifizierte mich damals mit diesem Text und tue das noch immer. Trotzdem: Abschied nehmen fällt nicht leicht.

    Wenn man im Ruhestand angelangt ist, wird man immer öfter mit dem Abschiednehmen konfrontiert. Auch von den eigenen Stärken muss man sich mehr und mehr verabschieden. Trotzdem glaube ich, dass das Gelebte nicht verloren ist. Und so schließe ich gelassen mit dem Vers

    Und sind wir einmal müde,
    dann stell ein Licht uns aus,
    o Gott, in deiner Güte,
    dann finden wir nach Haus.

  2. Susanne Peyronnet 20. November 2011

    Sind wir nicht mit Dingen viel sorgfaeltiger als mit Menschen? Wir koennen uns nicht von alten Kabeln trennen, aber lassen manche Freundschaft schleifen. Gedanken, die mir beim Lesen dieses schoenen Beitrags kamen. Lasst uns doch alles wegwerfen, was wir ein Jahr lang nicht gebraucht haben, aber unsere Freundschaften und Bekanntschaften so pflegen, dass es nie ein Jahr ohne inteniven Kontakt gibt.

  3. kuder 19. September 2011

    Wirklich schön geschrieben.
    kann ich gut nachvollziehen.

  4. Ebenen 19. September 2011

    Ein wunderschöner Beitrag. Vielen herzlichen Dank

    Ich bin seit Wochen wieder ständig am entrümpeln und es tut weh. Es ist tatsächlich wie eine Abschiedsreise. Erst musste ein Stück Heilung vorweg passieren und mir (auch keine Messie) musste bewusst werden, was es denn ist, das ich mit einem Paar Ski verband, was es denn so schwer macht Kindersachen wegzubringen, wo die Kinder doch alle noch da sind.

    Ich merke, dass es unterschiedlicher Natur ist, warum ich Manches nicht oder nur schwer loslassen kann. Manchmal sind es schöne Erinnerungen, an eine wundervolle Zeit und manchmal sind es aber auch Trauer- oder Schuldgefühle, die Zeit die zum Gegenstand gehört nicht richtig wahrgenommen zu haben. Es ist die Erinnerung an die schweren Zeiten, wo ich mich frage, ob die Liebe genug Raum hatte für alle fühlbar gegenwärtig zu sein.

    Und so ist dann letztlich viel zu lernen im Loslassen und aus den Gedanken, die dieses Loslassen begleiten. Manchmal ist es ein „freiwerden für die Gegenwart“ für das, was Gott mir „jetzt“ schenken möchte.

    Ein Wiedersehen…? Kürzlich schrieb mir eine Christin, es sei nicht damit zu spassen, wir sollten uns nicht in einer falschen Sicherheit wiegen. Nach dem Tod gäbe es keine Möglichkeit mehr sich zu Gott zu bekennen und seine Gnade in Jesus anzunehmen. Es betrübte mich und ich denke jetzt erneut an die Aussage dieser Frau, denn wenn sie stimmt, dann ist es sehr ungewiss, wieviele ich wiedersehen werde.
    Es sind schon einige von meiner Familie gestorben, die nichts von der Liebe Gottes wissen wollten. Ein Wiedersehen mit ihnen hatte ich mir auch immer nur in „Erlöstheit“ vorstellen können, denn zu Lebzeiten waren sie keine lieben Menschen, ganz im Gegenteil. Umso mehr habe ich mir gewünscht und immer gehofft, ich würde eines Tages diese Menschen „befreit“ von ihrer Bosheit, ihrer ganzen missbräuchlichen Veranlagung, wiedersehen und sie dann so kennenlernen, wie Gott sie gemacht hat.

    Aber vielleicht gilt es auch das loszulassen. Solche Gedanken wird es jedenfalls dann sicher nicht mehr geben.

    Vielen Dank nochmal..

  5. Sabi57 18. September 2011

    Und immer bleibt ein Stück zurück! In diesem Sinne Danke für diesen schönen besinnlichen Blogeintrag!

  6. Anonymous 18. September 2011

    Viele Gedankengänge fliegen gerade durch meinem Kopf, beim Lesen deines Blogs. Das Wesentliche – an ein Wiedersehen glauben. Ja das hilft. Erinnerungen wachhalten, die positiven Erlebnisse – Gemeinsamkeiten pflegen. Auch darüber reden – machen das Abschied nehmen müssen leichter. Was bleibt – Abschied nehmen tut weh – bei dem einen so bei dem anderen anders.

  7. Traumschoepfer 18. September 2011

    Vor einigen Jahren verlor ich meine Frau. Ich brauchte vier Jahre, um sie „loslassen“ zu können. Sie war Irin, und mir ist immer noch in Erinnerung, mit welch klarer Stimme sie zu Sylvester „Auld Lang Syne“ sang. Es waren bewegende Momente und ich denke gerne daran zurück. Übrigens: Ich war „Mowgli“ bei den Wölflingen in der katholischen Pfadfinderschaft „St. Georg“. Gerne denke ich daran zurück. Viel zuviel zurückgedenke. Aber… warum nicht?
    Grüße,
    Werner

  8. jahreszeiten 18. September 2011

    Nein, das glaube ich nicht. Ich habe das immer so verstanden: Wir Christen glauben daran, dass es ein Wiedersehen gibt.

  9. etoile-filante 18. September 2011

    glaubst du wirklich, das wiedersehen gibt’s nur für die Christen?
    Das wäre doch trist, wenn ich mir vorstellen müsste, mir wertvolle, gütige menschen nicht wiederzusehen, bloss weil sie keine Christen waren…

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