Onkel Paul war kein ganz richtiger Onkel, jedenfalls nicht von mir. Aber irgendwie gehörte er zum weiten Kreis der Verwandtschaft. Onkel Paul kam auf dem Moped aus der Kreisstadt angefahren mit einem kleinen Köfferchen, in dem er alles Nötige mitbrachte.
Sie wissen schon: als Stadtkind habe ich jedes Jahr einige Wochen auf dem Land bei meiner Oma verbracht, einmal bin ich dort auch in die Schule gegangen. Ich kann Ihnen sagen: Stadt und Land sind zwei Paar Schuhe.
Im Dorf meiner Oma gab es zwar auch einen Frisörladen, aber da gingen die Frauen nur hin, wenn sie eine Dauerwelle brauchte. Denn normale „Wasserwellen“ (gibt es die eigentlich heute noch, meine Damen?) konnte auch Onkel Paul machen.
Onkel Paul kam alle paar Wochen einmal angebraust und schnitt allen die Haare. Das Besondere daran war, dass das eine riesige Abwechslung war und Onkel Paul als guter Frisör immer etwas zu erzählen hatte.
Onkel Paul hatte einen furchtbar dicken Sohn, der gar nicht zu ihm passte. Den habe ich zwar nur einmal gesehen, aber jedes Mal, wenn Onkel Paul kam, dachte ich an den dicken Sohn.
Ich stellte mich immer dazu und guckte zu, wenn Onkel Paul Haare abschnitt. Alle kamen der Reihe nach dran, außer meiner Oma.
Meine Oma hatte nämlich wunderschöne Haare, an die schon lange kein Frisör mehr dran durfte. Tagsüber hatte sie sie zum Dutt gebunden. Als mein Opa tot war, durfte ich in seinem Bett schlafen und da konnte ich manchmal morgens sehen, wie sie im weißen Nachthemd da stand, ihre Haare öffnete und die – eine Mischung aus immer noch schwarzen und weißen Haaren – über ihren Po bis fast auf den Boden fielen.
Meine Oma sah dann wie ein Engel aus, fand ich.
Onkel Paul durfte das nicht sehen, der Arme. Abder die anderen auch nicht. Nur ich.
Wenn ich dran war, holte Onkel Paul einen Beistelltisch, den er vor das Spülbecken in der Küche stellte. Obendrauf stellte er einen Stuhl und da wurde ich drauf gesetzt. Bei Onkel Paul gabs keine kratzende Kreppbänder um den Hals, dafür juckten die Haare hinterher im Kragen.
Aber die Haare hat er schön geschnitten, fand ich. Manche Jungen mussten damals „Meckis“ tragen, weil sie dann nicht so oft zum Frisör mussten. Onkel Paul hat mir immer einen schönen Scheitel gekämmt und zum Schluss noch ein bisschen „FIT“ reingeschmiert. Das sah doch viel besser aus als so ein Mecki.
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