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Am Anfang war Zukunft – Über das Ordnen verblichener Bilder

Ich will hier darüber schreiben, wie ich alte Bilder verwalte und was sie mit meiner Seele machen. Heute zunächst einmal zur Seele – der technische Teil folgt dann in Kürze.

Die Wehmut beim Sortieren verblichener Bilder

Am Anfang war die Zukunft.
Dann häuften sich Erinnerungen.
Am Ende räumt Vergessen auf.

Kurt Marti

Die letzte Woche habe ich hauptsächlich mit dem Archivieren und Sortieren alter Bilder verbracht. In der letzten Zeit habe ich Hunderte von alten Bildern eingescannt. Dias, Negative, Fotoabzüge. Viele sind verblasst, farbstichig geworden oder beschädigt.

Küchenbild

Wie meine Erinnerungen überhaupt. Verblasst, beschädigt, farbstichig. Und trotzdem das Bunteste, und Vielfältigste, was ich habe.

„Wofür machst Du das?“, fragst Du. „Wofür soll es gut sein, zweihundert Bilder Deiner Tochter als Baby in Dateien zu haben, zusätzlich einhundertfünfzig davon ausgedruckt, nummeriert und sortiert? Wofür die vier Karteikästen? Oder gar die vielen Bilder Deiner Vorfahren, wen werden die interessieren?“

Die Antwort tut weh.

Vom Verblassen der Zukunft

Stimmt, dachte ich bei dem Satz von Kurt Marti. Da war einmal etwas – früher hatte ich Zukunft. Man entwickelt Ideen, plante, hoffte, wartete.

Wann eigentlich hat das aufgehört? Noch der Schritt ins Rentenalter war ja voll mit Zukunftsplanungen und Zukunftsgedanken. Zukunft war auch immer da, wenn wir unsere nächsten Reisen planten. Leicht beunruhigend höchstens, dass wir so viel hatten, was wir noch einmal sehen wollten, dass es zum geschätzten Agilitätsrückschritt in einem grassen Missverhältnis stand. Aber es kamen schon die zwei, eigentlich drei großen Unbekannten des Altwerdens ins Spiel: wann werden wir uns nur noch eingeschränkt bewegen können, wann werden wir tot sein und wann wird eine(r) von uns allein sein.

Südtirol 1964

Wir haben aufgehört, Reisen zu planen. Ich werde glücklich sein, wenn ich das überhaupt noch einmal erleben kann. So glücklich wie ich war, als ich die erste Tasse Tee nach zwei Wochen künstlicher Ernährung trinken durfte.

Vom Unglück, Erinnerungen nicht teilen zu können

Erinnerungen teilt man mit den Menschen, mit denen man sie teilt. Auch, wenn Du Dich auf den Kopf stellst, mit anderen Menschen teilst Du sie nicht. So einfach ist das. Du kannst nur versuchen, sie ihnen mit-zu-teilen.

In meinem „Lightroom“-Katalog gibt es „verwaiste“ Einträge. In Lightroom werden die Erinnerungen an jede Änderung, die Du an einem Bild vorgenommen hast, gespeichert. Und dann gibt es ab und zu das Phänomen, dass all diese Erinnerungen noch da sind, aber das Foto fehlt.

Alle nicht mehr da.

So ähnlich ist es, wenn die Menschen in Deinem Leben wegsterben. Ich bin erst siebzig, aber so viele sind schon tot von denen, die mir wichtig sind. Ich schreibe „sind“, denn sie sind mir immer noch wichtig. Aber sie sind nicht mehr da. Wohin soll ich mit meinen Erinnerungen?

Vom Schmerz des Vergessens

Manchmal ein leichter Schmerz, wenn man etwas vergessen hat. Ein Name auf dem Klassenbild, den man doch so lange noch wusste. Noch ist es nicht die Vergesslichkeit selbst, die weh tut.

Es ist diese verdammte Vergänglichkeit. 2014 predigte ich bei meinem Abschied als Pfarrer und Dekan über Jesaja

Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Odem bläst darein. 

Jesaja 40, 6f

und sagte: „Es sind schmerzhafte Einsichten. Nein, es bleibt nichts zurück. Eine Erinnerung, die verblasst und wenn der Odem des Herrn ein zweites Mal darüber bläst, wird auch sie vergehen.“

Als junger Mann

Klingt das jetzt sehr depressiv? Das ist es nicht. Es ist wehmütig, das ist etwas ganz anderes. Es ist die gewisse Wehmut, die wohl dann kommt, wenn man merkt, nun alt geworden zu sein.

Die Wehmut, unausweichlich loslassen zu müssen. Auch die Bilder.

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