Hatte ich einen Schreibtisch in „meinem“ Zimmer? Ich glaube, am Anfang war da eine kleine Schreibplatte vor dem Fenster, nach links abgerundet und mit DC-Fix holzartig beklebt. Die hatte Vati geschnitten und montiert. Später musste sie dem Bücherregal weichen, das ich viel dringender brauchte und das er aus dem Bettkasten der alten Auszieh-Klapp-Couch gezimmert hatte, die wiederum durch eine Eck-Couch ersetzt wurde. Auf der schliefen meine Eltern fortan im Wohnzimmer, weil die beiden Mädchen ein eigenes Zimmer brauchten.
Nein, ich hatte keinen Schreibtisch. Das Zimmer, das ich mir mit meinem Bruder teilte, war nicht sehr groß. Im Winter wäre es auch zu kalt gewesen, weil kein Ofen drin war. Ein Regal, zwei Betten, ein Kleiderschrank und in der Mitte Platz zum Spielen. Die Tür hatte Vati mit schwarzem Tafellack gestrichen. Er hatte immer Ideen und immer versucht, etwas an dem uralten Hinterhaus zu verbessern.
Meine Hausaufgaben machte ich ich in der Küche. Wenn am großen Küchentisch gerade Platz war. Platz war nur, wenn nicht schon für Mittag oder Abend gedeckt war, meine Mutter nicht gerade Essen vorbereitete oder die Ausziehplatte des schweren Eichentisches ausgezogen, die alte graue Decke darübergelegt hatte und am Bügeln war. Die Decke war einiges gewohnt, das schwere Bügeleisen hatte schon braune Andrücke hinterlassen. Oder wenn nicht eines der drei Geschwister den Platz belegte.
Manchmal räumte ich den Platz leer und holte mein kostbarstes Eigentum hervor, die große schwere Adler-Schreibmaschine, die mir Onkel Gustav geschenkt hatte. Er hatte sie mir schon lange versprochen, falls ich auf die Höhere Schule komme. Seit meine große Schwester auf „Häusers Höherer Handelsschule“ war, lernte sie dort, was alle Mädchen, die den Aufstieg ins Büro schaffen wollten, lernten: Schreibmaschine, Stenografie und Buchführung. Steno war mir mit meinen zehn Jahren zu schwer, aber Schreibmaschine musste ich lernen und konnte es schließlich mit zehn Fingern und blind. Später haben sich alle meine Sekretärinnen – so lange es noch Schreibmaschinen gab – gewundert, wie schnell ich mit zwei Fingern schreiben konnte. Wenn man nicht so oft schreibt, habe ich ihnen dann erklärt, gibt man das mit den zehn Fingern auf.
Der schwere Küchentisch mit seinen dicken gedrechselten Beinen, dem geschwungen Verbindungskreuz zwischen den Beinen und der großen Kugel im Zentrum des Verbindungskreuzes war der zentrale Ort unseres Familienlebens.
Für mich war er auch der Platz der Gespräche mit meiner Mutter. Eigentlich viel zu früh hatte sie einmal gesagt, sie fände es schön, wenn wir nach dem Essen „als einmal“ zusammen einen Kaffee trinken würden. Seitdem war das unser „Ritual“. Nach dem Mittagessen kochte sie uns einen Kaffee, wir setzten uns an den Tisch, tranken in Ruhe unseren Kaffee und hielten dazu ein Schwätzchen.
Mutti musste viel und hart arbeiten. Schließlich hatte sie vier Kinder. Eine Spülmaschine gab es nie, wobei die auch bei vier Kindern, die spülten und abtrockneten, nicht nötig gewesen wäre. Dringender wäre eine Waschmaschine gewesen, die es aber erst spät gab. In einem großen Korb habe ich unsere Wäsche auf dem Fahrrad in den Waschsalon geschoben und gewaschen. Ein paar Jahre ging meine Mutter sogar nebenher halbtags arbeiten, weil das Geld nicht reichte.
Trotzdem nahm sie sich Zeit für den Kaffee und nahm sich auch Zeit, jeden Tag in Ruhe das „Tagblatt“ zu lesen und die Ruhe, ein Buch zu lesen, fand sie auch. Wie sie das alle geschafft hat, ist mir immer ein Rätsel geblieben. Etwas, was ich von ihr „geerbt“ habe, ist es, im größten Chaos Ruhe zu bewahren.
Ich glaube, sie genoss diese Gespräche mit mir.
Der Tisch war riesig groß, die wohl zwei Finger breite Platte ließ sich nach beiden Seiten ausziehen. Was wir aber nie machten, weil dazu der Platz nicht gereicht hätte und wir sogar ohne eine einzige Ausziehplatte zu bemühen, zu sechst gut Platz fanden. Und wenn mal eines der vielen Kinder, die zu Besuch kamen, zum Essen blieb, konnte es sich noch auf dem Rollschrank, auf dem die beiden Kleinen saßen, dazwischen klemmen.
Wochentags lag eine abwaschbare Decke über den Tisch. Die waren der letzte Schrei und Mutti hatte sie für äußerst praktisch erklärt, was sie wohl auch waren. Sonntags wurde schön gedeckt. Trotz der abwaschbaren Decke hat Vati dann aber noch eine Resopalplatte aufgeklebt und gleich auch noch welche in die Scheiben des alten Küchenschrankes.
Einmal war ein Mann zu Besuch, der mit meiner Mutter am Tisch saß und etwas zu besprechen hatte. Ich bekam nicht mit, worum es ging. Aber ich beobachtete, dass er einen Kaugummi unter den Tisch klebte. Was man nicht macht, schon gar nicht bei fremden Leuten. Als ich meiner Mutter das hinterher sagte, meine sie, das sei kein Kaugummi. Ich zeigte ihr ihn – da klebte tatsächlich ein Kaugummi, aber daneben ein kleiner Zettel mit einem Vogel darauf. Später musste ich einmal Geld bei einem Herrn vorbeibringen, an dessen Haustür ein Schild mit einem Löwen und dem Wort „Gerichtsvollzieher“ hing. In ihm erkannte ich den Mann mit dem Kaugummi wieder, aber ich sagte nichts.
Wolf 25. April 2021
Ich glaube dein schönes Bild ist nicht ganz richtig. Habe ich nicht außen gesessen und Gardi neben dir?
hpp 25. April 2021 — Autor der Seiten
Ich glaube, es war so, wie ich es gemalt habe (> Kartoffelklöße) Aber wie der zweite Kommentar zeigt, kann ich mich auch irren
gardi 25. April 2021
stimmt so nicht mein Lieber, vor dem Fenster war lange die Schreibplatte mit dem gelben Stuhl davor. als das Bücherregal hinkam hast du oder Wolf oder beide einen Sekretär bekommen.
Im übrigen war in dem Zimmer auch noch Platz für einen Couchtisch. So klein war es also nicht!
hpp 25. April 2021 — Autor der Seiten
Du hast Recht, wir hatten einen Sekretär und einen Tisch gab es auch.