Viel Zeit blieb uns nicht, um einen (ersten?) Eindruck von der Landschaft im Norden Polens zu bekommen. Nach einer strapaziösen Anreise vom Spreewald fahren wir quer durch Nordpolen nach Mikołajki (Nikolaiken) und übernachten zwei Nächte in einem Hotel in der Nähe der Stadt.
Nikolaiken – Mikołajki
Das Robert’s Port hat einen guten Ruf und angeblich gibt es dort auch gutes Essen. Die Aussicht auf den See ist herrlich, aber es herrscht ein immenser Betrieb – und das in der Nachsaison. Es erinnert eher an ein großes Touristenhotel am Mittelmeer. Wir essen etwas, trinken noch einen Wein in lauter Umgebung und gehen dann nach einem anstrengenden Tag ins Bett.
Am nächsten Morgen machen wir gleich vor dem Frühstück unseren ersten Besuch am See und sehen zum ersten Mal auf die Seenplatte. Mit dem Handy nehme ich ein allererstes Bild auf, es wird nicht das letzte bleiben.
Für den Abend hatten wir uns mit unserer Restcrew zum Essen im Hotel verabredet. Angesichts des nicht so überragenden Essens entscheiden wir uns um und suchen ein Lokal aus, das einen guten Eindruck machte und auf halbem Wege von Węgorzewo, wo die beiden schon sind, und Mikołajki liegt. Zuvor aber fahren wir zu einem Besuch in die kleine Stadt.
Zunächst einmal brauchen wir Bargeld. Am Vortag kamen wir nirgends dazu, einen Geldautomaten zu suchen. Tatsächlich bräuchten wir auch etwas: auf dem Parkplatz in der Altstadt will ein Parkwächter ein paar Zloty von uns haben, nimmt dann aber auch einen Euro. Ich hatte gelesen, dass man die blaugelben Automaten, die man an gut besuchten Stellen findet, meiden soll. Sie kassieren hohe Gebühren. Als Pfennigfuchser, der ich trotz Euro immer noch in manchen Sachen bin, will ich die Umrechnung in Euro vermeiden. Das gelingt aber nicht. Na gut, letztlich kostet das 2,50 €. Die 1.500 abgehobene Zloty reichen dann als Bargeld für die ganze Reise.
Nikolaiken, wie es früher hieß, ist der beliebteste Ort der Masuren, von herrlichen Seen umgeben. Es hat eine schöne Altstadt und eine schöne Uferpromenade.
Im Wappen trägt es den Stinthengst (was es damit auf sich hat, habe ich im letzten Beitrag geschrieben). Im Zentrum hat man ihm einen Brunnen gebaut.
Wir gehen entlang der Uferpromenade zur Evangelischen Kirche. Hier gibt es ein interessantes Museum der Geschichte der Reformation. Bis 1945 war die Bevölkerung noch fast ausschließlich evangelisch.
Nach Krieg und Vertreibung blieben noch einige Tausend evangelische Polen zurück. Ihre Zahl dezimierte sich im folgenden Jahrzehnt auf etwa 300, weil die evangelische Bevölkerung aus politischen Gründen verfolgt wurde. Mit Interesse las ich, dass Pfarrer Horst Symanowski, den ich noch persönlich kennenlernen durfte, hier aufgewachsen ist. Symanowski gehörte zur Bekennenden Kirche. Mit seiner Familie versteckte er eine jüdische Familie in seiner Wohnung, dafür wurde er als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt.
Nach dem Krieg sollte er in Mainz ein Missionsseminar gründen, interessierte sich aber mehr für die Lage der Arbeiterschaft. Er arbeitete in den Mainzer Zementwerken als Hilfarbeiter und Arbeiterpfarrer und gründete dann den Kirchlichen Dienst für Industriearbeit. Er war einer der aktivsten deutschen Pazifisten.
Viel mehr als das Museum und die Uferpromenade sehen wir während unseres kurzen Besuchs nicht. Wir hoffen ja, auf unserer Bootsfahrt hierher zurückzukehren. Leider sehen wir dann die Stadt aber nur von ihrer schönen Seeseite.
Nachmittags machen wir dann den Ausflug ins sehr schön gelegene Swojski Gościniec und treffen uns mit den beiden anderen zum Vorgespräch. Es gibt auch Hotelzimmer, hier wäre eine schönere Station gewesen als im Robert’s.
Heilige Linde – Święta Lipka
Wir haben noch Zeit und machen einen kleinen Umweg, um eine der bedeutenden Sehenswürdigkeiten der Masuren zu sehen, die Wallfahrtskirche Heilige Linde (oder Heiligelinde).
An dem Ort gab es schon seit dem Mittelalter eine Wallfahrtsstätte, spätestens seit ein zum Tode verurteilter und begnadigter Soldat hier unter einer Linde ein Marienbild aufgestellt hatte und es dort zu Wunderheilungen gekommen sei. Nach der Reformation erlaubte der evangelische Landesherr Kurfürst Joachim Friedrich dem benachbarten Bischof von Ermland, hier eine Kirche zu errichten. Ende des 17. Jahrhunderts wurde die schöne barocke Kirche vollendet.
Das Altarbild erinnert mich an die Schwarze Mutter Gottes von Tschenstochau, die ich vor über 60 Jahren zum ersten Mal sehen durfte, das Nationalheiligtum Polens. Die Madonna wird als Hodegetria, als Wegweiserin dargestellt, die auf Christus verweist. Bei dieser Ikonenform sitzen Maria und Jesus (als Christus) aufrecht. Christus hält dabei meist eine Schriftrolle oder wie hier ein Buch in der Hand und Maria zeigt auf ihn.
Am imposantesten ist die Orgel, die 1721 gebaut wurde. Im Sommer gibt es zu jeder vollen Stunde erläuterte Orgelvorführungen. Die Erläuterung können wir natürlich nicht verstehen, aber wir hören die Orgel:
Dönhoffstädt – Drogosze
Auf der Rückreise von der Bootsfahrt fahren wir zunächst durch die Woiwodschaft Ermland-Masuren. Unser Zwischenziel ist ein Gutshaus in der Nähe von Olsztynek (Hohenstein).
Unser erster Halt ist in Dönhoffstädt. Das Schloss, das einst die Grafen von Dönhoff, später die von Dohna und die von Stolberg-Wernigerode bewohnten, ist nahezu verfallen und nicht mehr zu besichtigen. Wir halten an der Dorfkirche. Mit uns kommt ein Auto mit deutschem Kennzeichen an, danach noch mehrere Autos mit polnischen Kennzeichen. Anscheinend eine Reisegruppe, die die Kirche besichtigen will. Der Herr, der aus dem deutschen Auto steigt, lädt uns freundlich ein, doch mitzukommen. Wir haben großes Glück, denn ohne diese Gruppe wären wir nicht in die Kirche gekommen. Noch größeres Glück ist, dass er sich dann neben uns setzt und leise alles übersetzt, was der Reiseführer, ein polnischer Historiker erklärt.
Die Orgel hier ist nicht ganz so prunkvoll wie die in Heiligelinde, wird von der armen Gemeinde aber immer noch im Gottesdienst genutzt.
In der Kirche finden wir eine Gedenktafel für den Burggrafen Achatius zu Dohna, der am Tag seiner Eheschließung verstarb…
vor der Kirche Tafeln für die Familien Dönhoff und Stolberg…
und durch eine kleine Luke kann man in die zugemauerte Gruft blicken.
Unser freundlicher Übersetzer erzählt uns, dass er 40 Jahr im Rheinland gearbeitet habe. Als Pfarrer. Als ich ihm erzähle, dass ich evangelischer Pfarrer sei, strahlt er: „Oh, ein Bruder!“ – und dann „Du hast Glück!“ -?- „Du hast eine schöne Frau!“. Wo er Recht hat…
Masurische Alleen
Wenn ich über Masuren schreibe, müssen die Alleen eine besondere Erwähnung finden, weil sie mit die Schönheit dieser Landschaft ausmachen. Eigentlich sind alle Straßen außerhalb der Ortschaften solche wunderschönen grünen Dächer, durch die man wegen der schlechten Straßen entschleunigt fahren muss.
Leider ist auch diese Landschaft bedroht, die Alleen müssen oft breiteren Straßen weichen, nicht zuletzt weil die Förderrichtlinien der EG den Straßenanbau an eine bestimmte Breite binden.
Heilsberg – Lidzbark Warmiński
Der Heilsberg ist eine der vielen Ordensburgen in Ostpreußen. Die bekannteste und größte ist die Marienburg (Malborg). Einige haben wir auf unserer Fahrt gesehen: Angerburg (Węgorzewo), Rhein (Ryn), Rößel (Reszel), Allenstein (Olsztyn). Die Marienburg als größte und bedeutendste; Weltkulturerbe und Europas größter Backsteinbau hätten wir gerne gesehen, aber schließlich wäre dann doch der Umweg zu groß gewesen.
Mit Heilsberg verbindet mich noch etwas anderes: einer meiner Vorgänger in der Gemeinde, Pfarrer Otto Fricke, betrieb als Vorsitzender des Evangelischen Hilfswerks in Bad Vilbel den Bau einer Aussiedlersiedlung, die dann den Namen Heilsberg erhielt, als Erinnerung an das ostpreußische Heilsberg und als Hoffnungszeichen.
Burg Heilsberg ist so etwas wie die Kleinausgabe der Marienburg, ein riesiger weltlich-sakraler Backsteinbau. Sie ist nach der Marienburg die besterhaltene Ordensburg, umgeben von einer schönen Anlage, die von zwei Flüssen (Alle und Simser) begrenzt wird. Hier war bis 1795 Sitz der ermländischen Bischöfe. Bis 1772 war Heilsberg die Hauptstadt des Ermlands.
Am Rande der Altstadt essen wir auf der Terrasse des schönen Restaurants Starówka zu Mittag und fahren dann weiter zu dem Ort, an dem wir die nächsten zwei Nächte verbringen wollen.
Gutshaus Warglitten – Palac Warlity
Uns erwartet ein unglaublich eindrucksvolles Hotel. Die Besitzer haben in 13 Jahren ein völlig verfallenes Gutshaus zu einem luxuriösen Hotel umgebaut, in dem wirklich alles vom Feinsten ist. Von den individuellen Zimmereinrichtungen über die Parkanlage mit dem Ufer des Platteiner See bis zum vorzüglichen Essen stimmt wirklich alles.
Bilder im Flur lassen die Arbeit, die in das Gut gesteckt wurden, erahnen.
Frühmorgens gehen wir schon zum See, der noch von Frühnebel bedeckt ist.
Im Park spaziert ein Storch.
Einen kann die Liebste glücklicherweise vor dem hungrigen Adebar retten.
Eigentlich ist die Zeit der Störche schon vorbei. Dieser hier ist wohl zurückgeblieben, später sehen wir, dass es sogar zwei sind.
Nach unserem Ausflug sitzen wir nachmittags nochmal im Garten.
Allenstein – Olsztyn
Anderntags machen wir einen Ausflug nach Olsztyn, der Hauptstadt der Wojwodschaft Ermland-Masuren. Olsztyn ist ein sehr schönes Städtchen und die Litfasssäule belehrt uns, dass man nicht sagen darf, es sei nichts los in Olsztyn.
Besonders stolz ist die Stadt auf Nikolaus Kopernikus, der hier eine Zeit wohnte und arbeitete. Er war Administrator des Domkapitels.
Im Kreuzgang der Burg findet sich noch eine von ihm angefertigte Astronomische Tafel zur Berechnung der Tag-und-Nacht-Gleiche.
Anders als oft überliefert, wird die Schrift des Kopernikus nicht verboten, sondern muss nur deutlich als Hypothese gekennzeichnet werden. Der Verfasser dieser Schrift hingegen wird in Allenstein direkt an den Pranger gestellt.
Und nein, mit diesem an sich tröstlichen Satz bin nicht ich gemeint.
Auch Burg Allenstein war ursprünglich eine Ordensburg,
Durch das Hohe Tor kommt man in die Altstadt, die 1945 nach der Besetzung durch die Rote Armee fast völlig abgebrannt ist und rekonstruiert wurde. Vor dem Tor gibt es Ausgrabungen. Ursprünglich gab es drei befestigte Stadttore.
Gleich dahinter liegt rechts das Gebäude der Gazeta Olsztyńska, heute ein Museum. Die Gazeta war das Zentrum des Widerstands gegen die Germanisierung und erschien polnischsprachig trotz vieler Schikanen durch die Nazis bis 1939. Dann wurden die Redakteure in Konzentrationslager verschleppt und ermordet.
Vom Hohen Tor aus bummeln wir auf der Staromiejska durch die Innenstadt und kommen zum Marktplatz.
Steigt in die Fluth; kein Auge Hat ihn seitdem gesehn.
(Elisabeth Kullmann)
Oberlandkanal – Kanał Elbląski
Für die nächste Strecke fällt die Entscheidung schwer. Wir müssen an diesem Tag weiter bis zur Ostseeküste und es gibt vieles, was da unterwegs sehenswert ist. Was ich unbedingt sehen will, ist der Oberlandkanal. Ob wir danach noch über Marienburg fahren und ob und wie wir Danzig besuchen, lassen wir morgens noch offen.
Bei unseren Reisen halten wir es mit den Ameisen:
In Hamburg lebten zwei Ameisen,
Die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaussee
Da taten ihnen die Beine weh,
Und da verzichteten sie weise
Denn auf den letzten Teil der Reise.
So will man oft und kann doch nicht
Und leistet dann recht gern Verzicht.
Joachim Ringelnatz
Ich hatte schon hin und her gerechnet, für eine Fahrt auf dem Oberlandkanal würde die Zeit nicht reichen. Und noch trauriger: wir würden so früh dort ankommen, dass wir wahrscheinlich nicht einmal ein Schiff zu sehen bekämen.
Sei’s drum. Ich wollte ihn gesehen haben, schließlich gibt es so etwas nur zweimal auf der ganzen Welt.
Der Oberlandkanal verbindet zwischen Elblag und Iława mehrere Seen. Das absolut Besondere: zwischen den Seen gibt es Steigungen, auf denen die Schiffe auf Schienenwagen über Land transportiert werden.
Um uns diese Technik anzusehen, fahren wir von der Autobahn Richtung Elblag ab ein Stück über Landstraße und Waldwege. Man glaubt, beim Buczyniec Slope an einen abgelegenen Ort zu kommen, aber auf dem Parkplatz, der dann schließlich kommt, stehen schon ein paar Autos uns später trifft auch ein Bus ein. Der Tagesbetrieb beginnt gerade.
Als der Kanal in der Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut wurde, diente er dem schnellen und wirtschaftlichen Transport von landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus dem Oberland, zeitweise fuhren bis zu 50 Schiffen am Tag. Heute dient die Anlage nur noch zu touristischen Zwecken.
Von Telewizjamsi – Eigenes Werk</span>, Gemeinfrei, Link
Leider konnten wir nicht warten, bis eines der Schiffe abfährt.
Danzig – Gdańsk
Inzwischen können wir abschätzen, dass der Umweg über Marienburg zu lange dauern würde, selbst wenn wir nur zum Fotografieren vorbeifahren würden. Für einen kurzen Besuch in Danzig reicht es.
Der Beitrag über Danzig und die polnische Ostseeküste folgt in Kürze
Unsere Masurenreise
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