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Mein Vater war ein Wandersmann und mir liegt’s auch im Blut…

Vielleicht stimmt es ja gar nicht und es liegt mir nicht im Blut. Jedenfalls bin ich jahre- eher jahrzehntelang nicht gewandert. Ich war einfach zu träge, habe mich nicht gerne bewegt.

Aber meine ersten Wandererlebnisse und schöne Erinnerungen sind die an Wanderungen mit meinem Vater, mit der ganzen Familie oder auch einmal mit ihm und meinem Freund Erich.

Durchaus auch mühsame Wanderungen. Über die „Himmelsleiter“ hoch auf den Frankenstein. So hieß sie natürlich nicht, weil sie so himmlisch zu gehen war, sondern weil der schmale Weg mit den Stufen aus Ästen so steil hinauf führte.

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Später sind wir mit Jungschar und Jungenschaft viel gewandert: den Rheinhöhenweg, den Hunsrückhöhenweg oder durch die Lüneburger Heide nach Hamburg. Aber auch in der Schule gab es ganze „Wanderwochen“, einmal durch die Eifel, einmal durch das Ahrtal. Alles schöne Erinnerungen.

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Abgelöst wurde das später durch das Trampen. Das Trampen als nicht nur „an ein Ziel kommen“, war auch eine Art von Wandern: sich auf einen ungewissen Weg einlassen. Als wir nach Hamburg wollten, kamen wir nach Salzburg, als wir nach Amsterdam wollten, kamen wir zuerst einmal durch den Harz und Nordfriesland.

Trampen wir durchs Land
Und rasen durch die Welt dahin
Wer fragt dann noch, wer fragt dann noch
Nach des Lebens Sinn!
Wer fragt dann noch,

Lust und Traurigkeit
Verweben wir im Kleid der Zeit
Dunkle Stunden sind bald überwunden.
Wir sind stets bereit.

Alles, was uns bannt
Verweht im Sand, verweht im Staub
Alle Schätze dieser Erde
Werden uns zum Raub

Im Norden und im Süd,
In Ost und West das gleiche Lied
In die Fernen, zu den Sternen
Es uns ewig zieht

Trampen wir zur letzten Fahrt
Ja, und das Scheiden, das wird hart
Sind die Stunden überwunden
Die Sonn´ hat uns gelacht

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Ja, die Liebste und ich haben viel gesungen auf unserer Wanderung. Nur, wenn es niemand hörte, natürlich (außer unserer Freundin), aber vielleicht werden wir beim nächsten Mal mutiger. Und sicher werden wir dann die alten Mundorgeln mitnehmen, die ich noch aus der Jugendzeit aufbewahre.

Die Mundorgel

Die Mundorgel

Während des Studiums bin ich einmal mit einem Freund aus reiner Lust von unserem Studienort Frankfurt nach Darmstadt zurückgewandert, etwa 30 km. Auch singend.

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Wiederentdeckt habe ich das Wandern erst im letzten Jahr. Aus der Freude, nach meiner Herzoperation wieder fitter zu werden, sind wir losgewandert.

Und was soll ich sagen: es macht süchtig. Hätte ich nie gedacht.

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Kaum waren wir vom Jakobsweg zurück, sehe ich in der Zeitung eine kleine Rezension: die Zeitschrift „Philosophie“ hat eine Extranummer „Wandern“ herausgebracht. Was das steht, klingt sehr interessant und ein paar Tage später liegt sie im Briefkasten.

Zeitschrift "Philosophie": Wandern

Zeitschrift „Philosophie“: Wandern

Das Heft ist eine wahre Fundgrube. Sie handelt vom Wandern, vom Spazierengehen, vom Flanieren. Nicht nur philosophische im engeren Sinne, sondern auch gehirn-, kultur-, kommunikationswissenschaftliche und historische Beiträge ergänzen einander. Es macht eine Freude zu lesen, manches natürlich nur quer.

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Tatsächlich: „Wandern“ scheint eine deutsche Eigenheit zu sein, wenngleich man inzwischen natürlich Wanderer aller Nationen trifft. Aber eine Kultur des Wanderns entwickelte sich in Deutschland. Übrigens nicht etwa im Nationalsozialismus, da war das Wandern alleine oder in Gruppen eher verpönt, es wurde „marschiert“.

Für eine Engländerin nämlich besteht der wahre Zweck des Lebens darin, die höchsten und stürmischsten Gegenden zu durchreisen, ohne dass ein Haar auf ihrem Haupt aus seiner Lage gerissen wird. Für einen Engländer ist es der, in sein Vaterland zurückzukehren, nachdem er eine Fahrt um die Welt gemacht hat, ohne dass seine Handschuhe beschmutzt oder seine Stiefel durchlöchert worden sind.

Die Italiener fallen in den entgegengesetzten Fehler. An ein gleichmäßiges, mildes Klima gewöhnt, verachten sie die geringsten Vorkehrungen und werden von dem Wechsel der Witterung in unserem Klima so lebhaft ergriffen, dass sie sogleich vom Heimweh befallen werden; sie durchwandern es mit stolzer Verachtung, überall die Sehnsucht nach ihrem schönen Vaterland mit sich tragend und es unaufhörlich und laut mit allem, was sie sehen, vergleichend.

Díe besten Reisenden sind diejenigen, welche am wenigsten Geräusche machen, sind die Deutschen, treffliche Fußgänger unerschrockene Raucher und alle ein wenig Musiker und Botaniker. Sie gehen langsam und umsichtig und trösten sich für alle Langeweile des Gasthofs mit der Zigarre, der Maultrommel oder einem Herbarium.

George Sand: Briefe eines Reisenden

Thea Dorn führt die deutsche Lust am Wandern gar bis auf die späte und unvollkommene Verdrängung der germanischen Naturgottheiten durch das Christentum zurück. Noch immer seien die Deutschen bereit, in jedem Baum einen Gott zu sehen.

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Wandern ist von verstörender Schlichtheit: Es geht darum, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Im Alltag ist man jemand mit einem Namen, einer Geschichte, doch wenn man wandert, liegt das Interesse darin, keine Geschichte mehr zu haben, eben nur ein wandernder Körper zu sein; diesmal also nicht sich aufzumachen zu einer Begegnung mit sich selbst, sondern zu gehen um niemand Besonderes mehr zu sein, nur ein uralter Lebensstrom.

Frederic Gros

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Eine kleine Entdeckung in dem Heft außerdem: die Psychogeografie. Eine Wissenschaft und eine Kunst, entwickelt vor allem von der Künstlerguppe „Situationistische Internationale“ in den Siebziger Jahren.

Anstatt frei umherzuschweifen, geht man unbewusst immer wieder bekannte Wege und zu bekannten Orten, die einen wiederum prägen. Die Kunst des Umherschweifens besteht darin, sich dem Zufall zu überlassen, um neue Wege zu finden und neue Menschen zu treffen.

Vier Grundregeln:

Du kannst eigentlich überall umherschweifen.
Das Umherschweifen sollte mindestens einen Tag dauern.
Wer mit einer Gruppe unterwegs ist, trifft mehr Leute und ein Gläschen kann dem Kennenlernen zugänglich sein.

Das Umherschweifen sollte eine künstlerische Dimension haben. Am Ende bleiben Anekdoten und Gedichte, Fotos oder Skizzen.

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Wie für alles, gibt es auch für das Umherschweifen eine App, die ich mir natürlich sofort geladen habe. Sie zeigt Dir – immer mit Wartezeit – unterwegs Regieanweisungen zum Umherschweifen. „Lass eine Münze entscheiden, in welche Richtung du gehst – mach das dreimal hintereinander.“ – „Geh nach Norden, bis du zu einem Stoppzeichen kommst. Mache rückblickend ein Foto“ – „Finde ein Geräusch“.

Umherschweifen mit App

Umherschweifen mit App

Ich freue mich schon darauf, das demnächst mal einen Tag zu machen. Ihr dürft gespannt sein.

Die App „Dérive“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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