Mastodon Von Auschwitz aus erlebt: Invasion des Warschauer Paktes in die CSSR – nichtallzufromm
nichtallzufromm

Seite für Reisen, Fotografie und Gott und die Welt

Von Auschwitz aus erlebt: Invasion des Warschauer Paktes in die CSSR

Heute, am 21. August 2018, jährt sich zum 50. Mal die Besetzung der damaligen CSSR durch die Staaten des damaligen Warschauer Paktes.

Prager Einwohner vor sowjetischem Panzer

Prager Einwohner vor sowjetischem Panzer

Die DDR war an diesem Einmarsch nicht beteiligt. Nicht, weil sie nicht gewollt hätte, sondern weil sie nicht durfte. In Moskau wollte man nicht die Erinnerung an deutsche Besatzung provozieren. Die DDR-Führung empfand das als Diskriminierung und erfand Berichte über Mitwirkung der NVA (Nationale Volksarmee).

Für mich ein unvergessenes Ereignis, weil ich zu dieser Zeit im Lager Oswiecim (Auschwitz) war, nur fünfzig Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt. Für uns als Freiwillige der Aktion Sühnezeichen war das eine ungeheure politische Herausforderung.

Was für mich „1968“ bedeutete, kann ich ohne dieses historische Datum nicht zureichend beschreiben.

Wie viele meiner Generation war ich sehr früh politisch wach und aktiv. Den Beginn der 68er und das legendäre 1968 selbst erlebte ich als Schüler. Ich war engagiert in der Schülerbewegung, die parallel zur Studentenbewegung wirkte und kirchlich in der „Außersynodalen Opposition“ – ja, so etwas gab es auch.

Lange vor Beginn der Verständigungsprozesses mit Polen hatte die Aktion Sühnezeichen erste Kontakte geknüpft und begann, Freiwillige nach Auschwitz zu schicken, zunächst nur für kurze Einsätze dort. Ein politisches Neuland, wir waren m.W. die zweite Gruppe, die dort tätig war.

Tagsüber gruben wir aus den Trümmern von Baracken und Krematorien Überreste aus. Ein Gebiss, einen Kamm. Legten im sumpfigen, stechmückengeplagten Birkenau Grundmauern frei.

Es gab Menschen, die uns anspuckten. Schwer zu ertragen, aber verständlich. Deutsche Stimmen, das war das letzte, was Menschen hier hören wollten.

Aber es gab zum Beispiel auch die Frau, neben der ich an der Theke einer kleinen Bar stand. Als sie unser Deutsch hörte, fragte sie, was wir hier machen. Sie weinte, als sie es hörte. Auf ihrem Arm sah ich die tätowierte Lagernummer. Sie war eine Überlebende, ihr Mann, ihre beiden Kinder waren vergast worden.

Abends diskutierten wir untereinander, aber vor allem mit Tadeusz. Tadeusz Szymanski war Häftling Nr. 20.034. 1946 kehrte er nach Auschwitz zurück und baute dort die Gedenkstätte mit auf.

Mit ihm saßen wir auch oft in Gefangenenbaracken, versuchten uns vorzustellen, wie Gefangene dort gelebt haben, standen zusammen in dem Duschraum, der in Wirklichkeit eine Gaskammer war, an der Rampe, die die Güterzüge voll Menschen nach Oswiecim brachten.

Tadeusz erzählte uns vom Grauen – und doch war er ein so menschenfreundlicher Mann. Vom Gedanken der Aussöhnung der Völker beseelt. Diplomatische Beziehungen nahm Deutschland erst 1972 auf.

Die ging, sagte er oft, nur über Gerechtigkeit.

Während wir dort arbeiteten und diskutierten, marschierten also 50 km weiter in der CSSR Truppen ein und zerschlugen den Prager Frühling. Die Telefonverbindungen wurden gekappt, die Nachrichten zensiert. Unsere Eltern erfuhren für Tage nicht, was aus uns geworden war. In der Presse war von Internierung die Rede.

Schon auf der langen Zugfahrt nach Polen hatten wir uns über die vielen Soldaten und Panzer gewundert, die überall standen.

Erregt diskutierten wir mit Tadeusz.

Er selbst war erschüttert, aber seine Botschaft klar: das kleine Pflänzchen Verständigung zwischen Polen und Deutschland, zwischen uns als Evangelischen Christen und Juden musste weiter gepflegt werden.

Für uns allesamt „Linke“ war es eine Gewissensfrage: wie können wir mit unserem Engagement die Erfahrung der Aggressivität der Ostblockstaaten verbinden. Hatten wir doch viele Hoffnungen auf den „Prager Frühling“ gesetzt.

Wir blieben und arbeiteten weiter, lasen viel im Archiv, diskutierten untereinander.

Mein Verhältnis zum „real existierenden Sozialismus“ hat diese Erfahrung geprägt. Und doch: bei allem Erschrecken über diese hässliche Fratze des Sozialismus blieb die Idee lebendig.

 

P.S. Nicht gedacht hätte ich damals und weit von mir gewiesen, dass ich einmal Bilder des CIA veröffentlichen würde.

Teile dieses Artikels habe ich aus meiner Predigt anlässlich des 50. Jahrestags der Frankfurter Auschwitzprozesse übernommen. Predigt ansehen

Quellenangabe Foto:
Von The Central Intelligence Agency – 10 Soviet Invasion of Czechoslovakia, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=29195095

 

 

 

Weiter Beitrag

Zurück Beitrag

Antworten

© 2024 nichtallzufromm

Impressum - Datenschutz - Cookie Einstellungen