Ich hätte nicht damit gerechnet, dass ich ihn bekomme, mein Fahrlehrer auch nicht. Aber der Prüfer hatte wohl einen guten Tag oder er mochte hübsche junge Männer wie mich. Jedenfalls bekam ich den den Lappen ausgehändigt. So nannte man damals diese grauen Teile. Die Liebste hat ihren heute noch.
Ich habe meinen Lappen verloren. Oder wie ich bei der Polizei sagte, gestohlen bekommen. Der ansonsten etwas mürrisch blickende Beamte, der mir die Tür zum Revier öffnete und dann zu Protokoll nehmen wollte, was ich anzugeben hatte, hatte nur kurz aufgeblickt: „Sie meinen sicher gestohlen“. Gut, ich hatte gesagt „verloren“, aber so, wie er mich anblickte, mochte er anscheinend auch hübsche jüngere Männer wie mich. Das ließ er zwar nicht erkennen, aber auf meine Antwort mit leicht fragendem Unterton „Ach, das kann natürlich auch sein“, ließ er sich doch auf eine kleine Unterhaltung ein. „Ja, wenn Sie ihn verloren hätten, müssten Sie mehr für die Wiederausstellung der Dokumente zahlen. – Also, die Geldbörse mit den Dokumenten wurde ihnen gestohlen“. „Ja, da bin ich sicher.“ Ich glaubte fast, ein kleines Lächeln zu sehen. Oder die kleine Freude darüber, dass sein Tag gerettet war. One good act a day keeps the devil away.
Jetzt habe ich nur noch eine kleine Karte. Schade.
Wie ich zu meinem Führerschein kam
„Mit diesem Dokument erhalten Sie die Erlaubnis, alleine weiterlernen zu dürfen“, meinte der Prüfer theatralisch, während er seine Unterschrift in die Innenseite des grauen Leinendokuments setzte. „Nach bestandener Prüfung ausgehändigt“, stand da. Ich glaubte es erst, als ich das Ding in der Hand hielt.
Dreiundzwanzig Stunden brauchte ich. Damals musste man sich dafür schämen, manche brauchten zehn. Und ein Heidengeld hat das Ding gekostet. 13,50 die Stunde. Bei der „Fahrschule des Studentenwerkes“ der Technischen Hochschule.
Die erste Fahrt war mit einem Automatikwagen. BMW, totschick. Ich konnte nichts. Trotzdem herrschte mich der Fahrlehrer an „Sie sind schon schwarz gefahren“. Ich muss ihn sehr verwundert angeguckt haben, jedenfalls klang er etwas versöhnlicher, als er erklärte, dass er die Schwarzfahrer sofort daran erkenne, dass sie mit dem linken Fuß das Bremspedal beim Automatikwagen treten. Heute, wo ich seit einigen Jahren Automatik fahre, bezweifle ich seine Erkenntnis.
„Was studieren Sie denn“, fragte der Fahrlehrer interessiert, als er die Motorhaube öffnete, um mir ein paar Dinge zu zeigen.
„Ich bin noch Schüler“
„Oh. Und was wollen Sie einmal studieren“
„Theologie“
Er atmete hörbar ein „Ach so“, stieß er aus und knallte die Haube wieder zu. Wie gesagt, die Fahrschule der Technischen Hochschule. Irgendwie fühlte ich mich sehr fehl am Platz.
Immerhin war ich nicht ganz so schlecht wie der dürre Student mit der dicken Hornbrille, der den Nacken nach vorne drücken musste, um ins Auto zu passen. Bei gutem Wetter hätte der Fahrlehrer vielleicht das Schiebedach öffnen können, aber bei unserer Nachtfahrt regnete es.
Natürlich während meiner Ausbildung war diese Schikane eingeführt worden: eine Nachtfahrt und eine Autobahnfahrt waren zur Pflicht gemacht worden. Auch damals gab es schon Willkürmaßnahmen des Staates.
Wir fuhren also nachts durch den Odenwald, hinauf durch das Balkhäuser Tal. Normalerweise eine hübsches, romatisches Sträßchen. Aber in dieser Nacht war die Straße nur eng, glatt und vor allem sehr dunkel.
Besagter Technischer Student fuhr, wir beiden anderen Fahrschüler versuchten, zwischen den beiden Vordersitzen und den Scheibenwischern hindurch zu sehen. Der Technische Student hielt auf die Mitte der Fahrbahn. Von weitem sah man Scheinwerfer. „Etwas nach rechts“, meinte der Fahrlehrer. Technischer Student hielt nach links, Farlehrer griff ihm ins Lenkrad und steuerte gegen.
Technischer Student orientierte sich offenbar an der weißen Linie in der Mitte. Nur, dass er anscheinend versuchte, nie rechts davon zu fahren. Beim nächsten Auto noch einmal das Gleiche.
„Halten Sie an“, schrie der Fahrlehrer und trat wohl selbst auf die Bremse. „Mit Ihnen fahre ich nie wieder. Sie wollen uns ja umbringen“.
So böse wurde er mit mir nie. Aber ich merkte immer eine gewisse Ironie in seinen Mundwinkeln, wenn ich in sein Auto stieg.
Einmal stieg ich gar nicht in sein Auto. Oben im Büro hatte er mir den Schlüssel gegeben. „Machen Sie schon einmal alles fertig“. Also: Sitz zurechtschieben, Rückspiegel innen und außen (von Hand natürlich) einstellen.
Ich tat, wie mir geheißen, schloss den weißen Opel Kapitän auf, zog den Sitz ganz nach vorne, so dass ich fast mit den Füßen an die Pedale reichte, stellte den Rückspiegel ein – und wunderte mich, dass der kleine Spiegel des Fahrlehrers fehlte. Bringt er den immer mit? Aber warum fehlen die Pedale des Fahrlehrers? Was zum Teufel…
Ich saß im falschen Auto. Der weiße Kapitän hinter uns stellte sich als das richtige Auto heraus. Der Schlüssel passte an ihm jedenfalls auch und Pedale und Spiegel waren vorhanden.
Wie ich meinen Führerschein verlor
Weiterlernen durfte ich dann seit nun über 50 Jahren. Gut, mit zwei – oder waren es sogar drei? – kleinen Unterbrechungen.
Ich verlor meinen Führerschein im Herbst 1975. Diplompädagoge in meiner ersten Stelle in Nürnberg., mit jungen 23 Jahren angetreten. Federweißer beim Elternabend, danach natürlich mit dem Vikar in unsere Stammkneipe in Johannis.
Ich schwöre, ich war nicht so betrunken wie vorher ab und und zu einmal. Gut, die Fahrbahn teilte sich vor mir, aber ich konnte noch gut fahren. Polizeikontrolle.
„Haben Sie getrunken?“
„Ja, aber nur Glas Federweißer“
„Pusten Sie einmal“.
„Sie wirken eigentlich auch gar nicht betrunken. Aber Sie müssen mitkommen“.
„Trunkenheitsfahrt“ stand in den damals schon vergilbten Dokument, dass ich anstelle meines schönen Führerscheins, den ich nie mehr wiederbekommen sollte, ausgehändigt bekam.
Jetzt übertreibt er aber, meinen Sie sicher. Nie mehr wiederbekommen. Sie irren. Ein Fahrverbot von mehr als drei Monaten führt zum Verlust des Führerscheins. Die Behörde entscheidet dann, ob und wenn ja mit welchen Auflagen Du einen neuen bekommst. Ich bekam ihn nach einer neuen theoretischen Prüfung.
Der neue Führerschein war dann noch mal ein grauer. Aber als bleibende Mahnmal enthielt er einen Säuferbalken, woran jedermann erkennen konnte, dass ich einmal ein Trunkenheitsdelikt begangen habe. In einem solcherart neu ausgestellten Dokument war nämlich der Vermerk „Nach bestandener Prüfung ausgehändigt“, durchgestrichen. Das nannte der kundige Volksmund „Säuferbalken“, obwohl es durchaus auch einige andere Gründe gab, weshalb dieser Vermerk durchgestrichen sein konnte. Etwa weil man das Original nicht durch eine Trunkenheitsfahrt, sondern durch bloße Schusseligkeit verloren oder eben gestohlen bekommen hatte.
Später verlor ich meinen Führerschein nur noch einmal, als er mir gestohlen wurde.
Weitergelernt
Ich durfte noch viel lernen. Gleich das erste Auto bot glänzende Gelegenheit. Ein VW 1953. Zwischengang und Zwischenkuppeln. Die ersten Fahrten gab es ohrenbetaubende Schläge, wenn ich versuchte, einen anderen Gang einzulegen.
Bis ich lernte, dass man ab und zu nach dem Öl gucken musste, war es wohl schon zu spät. Jedenfalls musste ich bei meinen Fahrten die knapp 30 Kilometer von Darmstadt zur Karl-Marx-Universität in Frankfurt regelmäßig unterwegs Öl nachfüllen.
Aber ich beherrschte die Kunst, nachts vor einer Kurve abzubremsen, dabei zwischenzuschalten, im richtigen Moment zwischenzukuppeln, also das Pedal noch einmal durchzutreten und vorsichtig kommen zu lassen, so dass die Zahnräder synchronisieren können und dabei (!) mit dem linken Fuß den Knopf zu treten, mit dem das schwache Fernlicht aus der 6-Volt-Batterie auf das noch schwächere Abblendlicht geschaltet wurde, danach wieder auf Fernlicht zu schalten und mit dem gleich Fuß das Rädchen, das als Gaspedal diente, zu suchen.
Ab und zu musste man auch noch mit dem Fuß vorne den kleinen Hebel auf Reservetank umlegen, um noch ein paar Kilometer bis zur Tankstelle fahren zu können, wo man dann für 10 Mark tanken konnte, 49 Pfennig der Liter. Allerdings musste man erst den Kofferraumdeckel vorne aufklappen und die Taschen ausräumen, um an den Tank zu kommen.
Der Führerschein wurde heute vor 110 Jahren (1910) in Deutschland eingeführt.