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Nicht ohne Schuld

„Wer unter euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein“ – Jesus und die Ehebrecherin war der Predigttext heute. Warum auch immer, mir ist eine Geschichte aus meiner Kindheit eingefallen, die ich Ihnen nicht vorenthalten will:

Ich war ein kleiner Junge, mit den anderen Kindern spielte ich im Hof. Es war in den Fünfziger Jahren, wir lebten im Hinterhaus, es gab ein großes Vorderhaus mit 8 Mietparteien, es gab das Werkstattgebäude meines Vaters, es gab ein von den Bomben in Trümmern gelegtes Haus und mitten im Hof stand ein uraltes baufälliges Haus.

Man pflegte, wie es damals so war, eine gute Nachbarschaft, kannte sich über Jahrzehnte. Mit den Leuten in diesem Haus pflegte man keine Nachbarschaft.

Der alte Becker war ein jähzorniger Mann, ein Straßenarbeiter. Seit ich ihn einmal auf einem Schemelchen mit nacktem Oberkörper auf der Straße hatte sitzen sehen und Steine klopfen, wusste ich, dass er hart arbeitete.

Oft hörte man Schreie aus der Wohnung und man munkelte, sein Enkelkind, das Kind seiner ledigen Tochter, die mit ihm Haus wohnte, sei eigentlich von ihm. Mit dem Kind spielten wir auch nicht.

Ich spielte also mit den anderen Kindern. Ich war ziemlich klein, kann man sich vorstellen, aber trotzdem so was wie ein Anführer, beliebt bei den anderen Kindern, ein hübsches Kerlchen, hatte immer gute Ideen, kann man sich hoffentlich auch vorstellen. Weil ich immer höflich und freundlich war, mochten mich auch die Erwachsenen.

Um das baufällige Haus der Beckers herum waren Dachplatten aus gelehnt, wohl damit bei Regen weniger Nässe ins Haus kam. Gehalten wurden die Platten durch Backsteine. Eine der Platten war umgefallen, warum auch immer.

Wir spielten im Hof, als Becker nach Hause kam, seine umgefallene Blechplatte sah und mich anschrie: „Stell die uff!“

Woraufhin ich sagte: „Des war ich net!““.

Becker brüllte: „Stell die uff!“ – Ich: „Ich hab die net umgeschmisse“.
Becker: „Wannde die net uffstellst, schmeiss ich der de Backstoi nach…““ und hob einen der Backsteine auf. Ich habe mich nur umgedreht und bin weggegangen.

Im gleichen Moment ist mir schon ein schwerer Backstein nachgeflogen! Natürlich traf er mich nicht. Scheinbar ungerührt ging ich weiter.

Sofort gingen überall in den Häusern die Fenster auf. Eine Frau schrie: „Der bringt noch emal ein um“, eine andere: „Den muss mer anzeische“ und eine „Dem ist doch alles zuzudraue““

Ich hatte ein schlechtes Gewissen und zum ersten Mal so etwas wie Mitleid mit dem alten Becker. Eigentlich hatte ich nichts getan. Aber ich wusste insgeheim, dass ich mit schuld war. Ich hatte ihn bis aufs Blut gereizt und eigentlich war mir das von Anfang an klar. So klein ich war, hatte ich meine Macht ausgespielt.

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