Ja, ich bin Atomkraftgegner
Seit ich das erste Mal von Atomkraft gehört habe und verstanden habe, was das bedeutet. Ich war dabei bei Demonstrationen in Gorleben, Hanau, Wackersdorf und wer weiß noch wo.
Ich kann mich noch gut erinnern an jenen Abend am 28. April 1986, als ich auf der Heimfahrt von Gelnhausen nach Frankfurt im Auto saß und die erste Eilmeldung über den Super-GAU in Tschernobyl durch das Radio kam.
Unsere Tochter war gerade 3 geworden und wie viele Eltern waren wir voll Panik vor den Auswirkungen. Es gab spontane Demonstrationen überall.
In unserer Kirche hängt das Bild eines Künstlers aus Weißrussland, das er unserer Gemeinde geschenkt hat. Es zeigt geängstigte Menschen, im Hintergrund die Flammen von Tschernobyl.
Er schenkte es der Gemeinde aus Dankbarkeit für die Aktionen für die Kinder von Tschernobyl, die die Gemeinde gestartet hatte.
Ja, ich bin der Meinung, dass alle Atomkraftwerke vom Netz müssen
Dass wohl schon der Atomkompromiss eine Notlösung war, aber die Verlängerung der Laufzeiten, die die Schwarzgelbe Koalition beschlossen hat, nicht zu verantworten war.
Mein Aber
Mein Aber bezieht sich auf meine Beobachtungen im Web 2.0, genauer gesagt in Twitter, eine Plattform, die ich ansonsten gerne nutze.
Aber was ich hier sehe, macht mich sprachlos. Nach einer ersten Welle der „Anteilnahme“ für die Opfer der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe kreist seit 2 Tagen alles um die Kernkraftwerke und den für die meisten schon eingetretenen oder unabwendbar bevorstehenden GAU oder Super-GAU.
Ich verfolge auch das Geschehen. Aber ich verfolge es mit Angst.
Die Tochter einer Kollegin arbeitet in einem Projekt nördlich von Tokio. Die Familie einer Kirchenvorsteherin lebt in Japan, einige ihrer Schulfreundinnen sind noch vermisst.
Ich bin entsetzt und sprachlos über das unfassbare Unglück, das schon jetzt über die Menschen hereingebrochen ist und bange mit ihnen, dass nun nicht noch die größte Katastrophe der atomaren Verseuchung hinzukommt.
Aber im Web habe ich den Eindruck, viel warten nur darauf, dass ganz Japan verseucht wird. Das geschähe, so klingt es manchmal, Merkel und Konsorten gerade recht, man habe es ja schon immer gewusst.
Wenige andere verfallen in das Gegenteil: ein Twitterfreund, den ich ansonsten sehr, sehr schätze, vergleicht die Zahl der Straßenverkehrsunfälle mit der möglichen Zahl der Todesfälle bei einem Reaktorunglück. Was wohl zu dem Schluss führen soll: regt euch nicht so auf, es gibt Schlimmeres.
Andere behaupten, Merkel als Physikerin müsse die Gefahren besser abschätzen können als wir einfachen Bürgerinnen und Bürger.
Und ich sitze da und denke: gehts noch?
Kann man nicht zwei Tage sich der Hilflosigkeit angesichts der Naturkatastrophe ungeahnten Ausmaßes stellen und einfach aus Mitgefühl schweigen? Wenn man schon nicht als THW-ler, Johanniter oder sonstwas hinfliegen und helfen kann.
Als einer, der gegen AKWs eintritt, verstehe ich natürlich auch die Wut. Aber, liebe Leute: alles hat seine Zeit.
pacht45 19. März 2011
Eine Japanerin in der Sendung mit Maybrit Illner hat es auf den Punkt gebracht :
BESONNENHEIT, aber keine Hysterie !
Über die MILLIONEN TOTE,
die es bei einer nächsten NATURKATASTROPHE geben kann,
weil die gelagerten NUKLEARWAFFEN gezündet werden,
redet niemand … Warum nicht ?
Über die MILLIONEN TOTEN auf den STRAßEN dieser Welt
redet niemand … WARUM nicht?
Über die MILLIONEN DROGEN- und ALKOHOLTOTE auf dieser Erde
redet niemand.
Da wird auch nicht protestiert, damit die Regierungen diese SUCHTMITTEL verbieten und abschaffen … Nein, das schränkt die FREIHEIT ein … !
Wie widersprüchlich sind doch die MENSCHEN …
WAHRNEHMUNGSVERLUSTE
Wir sind oftmals erschrocken
über große VERÄNDERUNGEN
in NATUR oder GESELLSCHAFT,
weil
wir allzu oft nicht nachdenken
über die kleinen VERÄNDERUNGEN
im natürlichen UMKREIS und sozialen UMFELD …
___
Erfurt, 28.11.09 – Aus meinem Tagebuch – © PachT
Einen erholsames Wochenende … Gruß … PachT
Anonymous 18. März 2011
Die Selbstdiziplin wurde den Japanern anerzogen.
Mir sind auch die Spekulationen, das Zerreden von dieser schrecklicher Tragödie. Neue Analysen, Prognosen….zu viel.
Niemand kann diesen Tausenden helfen. Sie haben alles verloren oder werden noch alles verlieren – auch ihr Leben.
Politikgestreite zwischen den Parteien macht mich zornig.
Es ist unvorstellbar was dort passiert – mir ist auch eher nach Kerze anzünden und schweigen und beten.
Anonymous 16. März 2011
…ich finde all die Gedanken zur Katastrophe wichtig und gut…und doch wünsche ich mir, sie sollten letztlich Auslöser sein, über eine Änderung unserer Wertigkeiten nachzudenken…
…in Betroffenheit beten und meditieren ist gut, doch ich versuche auch, dankbar zu sein, dafür, dass ich noch leben darf und dieses Glück, weise zu handhaben…
Warum gibt es so einen hohen Bedarf an Strom, der den Bau solcher Anlagen scheinbar rechtfertigt?
Erklären wir uns durch unser tägliches Verhalten nicht wenigstens stillschweigend einverstanden mit dem was ist?
Ich wünsche mir, dass viele Menschen ihr Augenmerk wieder mehr auf die inneren Werte richten…
Alfons2 14. März 2011
Entsetzt und sprachlos über das unfassbare Unglück sind vor allem die Japaner selbst. Zu bewundern ist deren Selbstdisziplin, an der es bei manchen unserer Landsleute mangelt.
Gebaut wurden die zerstörten Atomkraftwerke mit einer Sicherheit gegen Erdbeben einer Stärke von 8,2 der Richterskala. Solche Beben hatte man dort vorher nie gemessen. Nach dem Beben einer Stärke von 9,0 in Sendai kann man im Nachhinein leicht sagen: Die Atomkraftwerke hätten dort nie gebaut werden dürfen. Übrigens sind solche Erdbeben extrem selten. Solche mit einer Stärke von 10,0 wurden weltweit noch nie registriert.
Deutschland hat im Unterschied zu fast allen Ländern der Erde den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Aber von heute auf morgen lässt sich das nicht verwirklichen. Noch wird der Strom, den wir aus unseren Steckdosen beziehen, zu einem Fünftel in Atomkraftwerken erzeugt. Die Umstellung auf regenerative Energie setzt viele Vorarbeiten voraus, die Jahre dauern, wenn die Gesellschaft es überhaupt will. Dazu gehören neue Fernleitungen, gehören Windkraftanlagen, Pumpspeicherkraftwerke und vieles andere mehr. Dieselben Leute, die darauf drängen, dass am liebsten heute noch die AKWs stillgelegt werden, demonstrieren gegen Fernleitungen, Windmühlen und Speicherkraftwerke. Aber vielleicht siegt die Vernunft und sie lassen es zu, wenn es auch viel Geld kosten wird. Denn eines kann man schon jetzt voraussagen: Die Umstellung wird teuer.
stadtpomeranze 26. März 2011
ich möchte zu Alfons Anmerkungen noch diesen Artikel hinzufügen:
http://www.welt.de/vermischtes/article12864224/Reaktor-Konstrukteur-gibt-schwere-Planungspanne-zu.html
Tara-Anne 14. März 2011
Ich bin deiner Meinung, obwohl ich auch die anderen Kommentatatoren verstehen kann.
auch ich war gegen die Kernkaraft, solange ich eigenverantwortlich denken kann und mich informiert hatte.
Mich erreichte die Nachricht der Tschernobyl Katastrophe genau am dem Tag an dem ich erfuhr endlich schwanger zu sein. Ich weiß noch gut wie hilflos ich war und wie oft ich mein Kind seit dem heimlich angeschaut hab, und dachte „vielleicht hat es doch Auswirkungen gehabt?.“
Jetzt,vor diesem unendlichen Leid in Japan, stehe ich trotz dieser Erfahrungen sprachlos, hilflos, voller Mitleid. Aber ich sehe auch die Hilflosigkeit in den Gesichtern der Regierungsverantwortlichen. Herrn Westerwelle hat es das festgetackerte Grinsen ja förmlich aus dem Gesicht geätzt. Ich sehe ihre Hilflosigkeit und ihre Angst und höre das Geschwätz das sie absondern, obwohl ihnen eigentlich die Spucke wegbleibt und die Worte fehlen angesichts der ständig neuen Unvorstellbarkeiten.
Ich habe hier seit Tagen ein Kerzlein angezündet und bitte alle guten Geister um Hilfe für die Menschen.
Und ich hoffe , dass alle Götter und Heilige, alle positiven Kräfte dieses Universums mein stummes Gebet verstehen.
Thomas Arbs 13. März 2011
Ich twitterte gerade heute Nachmittag „being right never felt so wrong“. Nein, als Atomkraftgegner kann man sich nicht noch ein paar Tage Seelenruhe gönnen, die Atomlobby tut das auch nicht. Schau mal die ganzen qualifizierten (keine Ironie) Beiträge in den Foren von Tagesschau et al. an, jeder Experte, der tippen kann, hat Wochenendsperre und betreibt, na eben Lobbyarbeit. Daß irgend jemand den Japanern wünscht, das noch Unklare, vielleicht doch noch nicht Geschehene möge geschehen, um uns recht zu geben, halte ich denn aber doch für zu viel Zynismus und verbitte ich mir.
stadtpomeranze 13. März 2011
„wie viele Eltern waren wir voll Panik vor den Auswirkungen“
Dazu kann ich nur sagen: Panik ist ein schlechter Ratgeber für verantwortungsvolles Verhalten/Handeln. Dieselben Menschen, die gern „Bildung“ als oberste Priorität gegen Armut, Unselbstständigkeit und Unwissenheit propagieren, sind leider oft die ersten, die sich in ein zwar möglicherweise emotional stärkendes Wir-Gefühl retten – das muss aber keinesfalls der Wissensanhäufung förderlich sein, sondern kann, in der Masse gesehen, sogar eher abträglich sein.
Panik jedenfalls hilft nichts und niemandem.
Konform gehe ich mit dir im Hinblick auf die Zahl der kalten, gefühllosen Äußerungen, in diesem Fall speziell bei Twitter (woanders hab ich kaum gelesen). Da bin auch ich sprach- und fassungslos.
„Seit ich das erste Mal von Atomkraft gehört habe und verstanden habe, was das bedeutet.“
Sorry, aber das wüsste ich gern genauer: Was meinst du damit? Willst du sagen, du hast die Technik verstanden? Kennst du die Sicherheitsstandards? Tauscht du dich vielleicht sogar mit Menschen aus, die an verantwortlicher Stelle in einem Kernkraftwerk arbeiten? Wie genau ist es um dein Verstehen von Atomkraft bestellt?
Oder geht es dir in erster Linie um etwas anderes? Um eine diffuse Ängstlichkeit und um eine unbestimmte Besorgnis und Befindlichkeit gegenüber der Atomkraft?
Ich tippe auf Letzteres, aber ich bitte dich ernsthaft um Aufklärung.
Kann man nicht zwei Tage sich der Hilflosigkeit angesichts der Naturkatastrophe ungeahnten Ausmaßes stellen und einfach aus Mitgefühl schweigen? Wenn man schon nicht als THW-ler, Johanniter oder sonstwas hinfliegen und helfen kann.
Auch da bin ich ganz deiner Meinung. Frei nach Erich Kästner: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
Ich wäre aber sehr erfreut, wenn du mir nach Tagen des Schweigens eine Antwort auf meine Frage zu deinem Verständnis über die Atomkraft gibst.
In diesem Sinne wünscht dir einen guten Wochenstart
SP
Sabi57 13. März 2011
eine Blogfreundin hat geschrieben:“ Damals, bei dem Tsunami in 2004 ging es mir über Tage echt mies, bis ich mal drauf kam, daß das totale „Wellen schlägt“, wenn so viele Seelen gleichzeitig die Erde verlassen.“ Dieses Bild werde ich seitdem nicht los, die vielen Seelen, die gleichzeitig die Erde verlassen,…. Die Menschen sind leider gößenwahnsinnig geworden, oder waren schon immer???? Japan trägt schwer an Atomkatasthrophen! ich weiß noch nicht, was ich tun kann, drum schweige ich jetzt auch lieber und denke an die Seelen…
Anonymous 13. März 2011
Naja du kannst den Leuten nicht vorwerfen, dass das leben ausserhalb Japans normal weiter geht und man sich halt Gedanken macht die nichts mit dem Erdbeben zu tun haben.
6 Milliarden Menschen haben auch 6 Milliarden verschiedene Sorgen
riverjessie 13. März 2011
Ja, man könnte und sollte vielleicht schweigen, der armen Menschen gedenken und ganz bei ihnen sein.
Wenn du aber die Ängste damals nach Tschernobyl mitgemacht hast so wie ich auch zu Beginn meiner Schwangerschaft, das damalige Verschleiern und Verzögern von Nachrichten über das wirkliche Ausmaß mit Spätfolgen weit über die Landesgrenzen hinaus, dann verstehst du sicher auch die heutige Wut angesichts dieses stetigen, impertinenten Hinwegsetzen über sämtliches Wissen und alle Warnungen, sowie das Gefühl, keine Minute mehr schweigend hinnehmen zu wollen, dass irgendwelche Ignoranten weiterhin das Wohl Hunderttausender von Menschen einfach mit den verseuchten Wolken hin und her schieben, statt endlich innezuhalten und sich bei denen zu entschuldigen, die nun vor dem absoluten Nichts inklusive einer schweren, gesundheitlichen Zukunft stehen.
Zeit? Haben wir die noch? Ich finde, es herrscht Handlungsbedarf – und zwar sofort. Damit könnten wir, vor allem aber alle Verantwortlichen auf dem gesamten Globus, den Katastrophenopfern vermitteln, wie ernst wir ihre Situation nehmen und DASS wir endlich daraus lernen …
Nele Tabler 13. März 2011
Es ist nicht (nur) die Wut. Es ist die Verzweiflung, so etwas nun schon zum 2. Mal erleben zu müssen. Wenigstens bei mir. Wenn ich nicht ab und zu meinen Zynismus in die Welt hinaustwittern könnte, würde ich nur noch hier sitzen und heulen.
Als Tschernobyl passierte, war ich Mutter von zwei kleinen Kindern und hatte keine Ahnung, wie ich sie schützen soll. 25 Jahre lang habe ich mir anhören müssen, meine Reaktion auf diesen GAU sei schon etwas paranoid und komme sowieso nie wieder vor.
Ohne das Verntil Twitter usw. würde ich vielleicht ernsthaft daran denken, mit einer Pistole loszuziehen nein, würde ich nicht machen, aber im Moment muss ich wirklich gegen diese Vorstellung ankämpfen.