In meinem ersten Beitrag zum Portugiesischen Jakobsweg hatte ich Euch schon von Anne-Chantal erzählt und den wertvollen Hilfen, die ich von ihr und ihrer Facebook-Gruppe „Jakobsweg-Caminho Português“ bekommen habe.
Geboren wurde sie in Südvietnam, in Frankreich und Deutschland hat sie eine zweite Heimat gefunden.
„Blind und im Rollstuhl hat sie den Caminho zurückgelegt“, hatte ich zuerst geschrieben. „Nein, fünf Mal!“ hat mich jemand korrigiert.
Und dann musste ich nochmal korrigieren: „Sie hat nahezu blind im Rollstuhl den Weg innerhalb von fünf Jahren zwölfmal (!) zurückgelegt“, schrieb mir eine Nichte von ihr und bedankte sich. Ich sei der zweite erst nach Herbert Hirschler, der ihre Arbeit in einem Blog gewürdigt habe.
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Es entwickelte sich eine Unterhaltung mit den zahlreichen Familienmitgliedern Anne-Chantals, die mir dann auch ihr Buch schickten. Denn Chantal ist bei ihrem letzten Jakobsweg im Februar schwer verunglückt und liegt seitdem auf der Intensivstation.
Ein wohlwollender Helfer katapultierte sie bei dem Versuch, sie zu schieben, aus dem Rollstuhl. Sie lag lange im Koma, hatte mehrere schwere Knochenbrüche und leidet seitdem zusätzlich unter epileptischen Anfällen.
Man kann nur für sie beten.
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Es sind die Schwester und die Neffen und Nichten, die sich rührend um das „Kind“ Annes kümmern: die Beratung und das „Coachen“ von Jakobswegpilgerern.
Die „jüngste und fleißigste“ ist 12.
Dreh- und Angelpunkt der Unterstützung und Beratung (aber auch der gegenseitigen Unterstützung geschieht über die Facebook-Gruppe, aber auch durch direkte Mails und Telefonate in jeder Notlage.
Eine unglaubliche Hilfe. Sara schreibt zum Beispiel:
Der nächste Hilfe-Anruf bei AnneChantal brachte nach noch nicht einmal einer Stunde einen Arzt zu mir, welcher meine wunden Füße begutachtete und mich weiter untersucht hatte inclusive Fieber messen!
Nach dieser Messung ließ er mich sofort in ein Krankenhaus bringen, denn ich hatte mir eine ernsthafte Blutvergiftung zugezogen!
Das verlief so schnell, daß ich meine gesamtes Hab- und Gut in der Herberge gelassen hatte, was AnneChantal – wie auch immer sie dies angestellt hatte – mir meine Habseligkeiten am nächsten Tag komplett zu mir ins Krankenhaus hatte bringen lassen.
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Von der Familie bekam ich auch das ihr Buch geschickt. Ich muss gestehen: mir war nicht wirklich klar, was es bedeutet, auf solchen Wegen im Rollstuhl unterwegs zu sein.
Lest selbst:
„Uwe, es geht nicht mehr, wir müssen zurück!“ rief ich.
„Wie zurück?“, fragte er.Ich sah nach oben, die 100 Meter auf den Steinen würde ich mit dem Rollstuhl nicht mehr schaffen. Bergauf, mit dem Rolli, im Regen, auf einem Weg voll nassglatter Steine?
Unmöglich!Das Wasser lief wie ein Bach an mir herunter.
Ich rief laut zu Sainte Therese de Lisieux, die mich immer beschützt hatte.
„Wir müssen zum Hotel da oben, denn dort gibt es sicherlich eine Straße!“ schrie ich Uwe zu. Im Tunnel klang alles anders. Hohl.
Ich machte zwei Löcher in meinen Müllsack. Na ja, ich opferte eben diesen Sack mal, stieg aus meinem Rollstuhl runter auf den Boden, steckte meine Beine in die Löcher und zog den Sack wieder hoch.
Jetzt war ich bereit: ich hatte eine Regenhose. Ich schützte noch das Kissen auf dem Rollstuhl mit einem weiteren Müllsack.
„Warte ab, bis ich oben bin. Dann kommst du mit KannSichleisten nach.“ wies ich Uwe an.
So begann ich krabbelnd meinen Aufstieg. Ich glaubte, unter dem Wasserfall in Da Lat zu sein, wie früher als Kind, als ich noch laufen konnte.
Jedes Stück Weg kostete Kraft. War das Schweiß oder Regen, was an meinem Gesicht herabströmte?
Meine Handschuhe zerfetzten. Ich rutschte hin und her. Die Knieschützer ebenso rutschten hin und her. Ich musste Pause machen, mich umdrehen. Ich band die Schützer noch enger und zog meine „Regenhose“ wieder hoch.
Dann wandte ich mich wieder dem Aufstieg zu. Dieses Mal „ging“ es rückwärts auf dem Po rutschend weiter.
Hoffentlich hält der Müllsack bis oben durch! Also nicht auf dem Po rutschen, sondern diesen hochheben und absenken, so dass der Sack nur ab und zu stillliegenden Kontakt mit dem Boden hatte, anstatt darüber zu rutschen.
So kostete es noch mehr Kraft und Schmerzen. Die Magneten an den Schmerzpunkten schafften es nicht mehr, die Schmerzen auszulöschen.
Zähne zusammen beißen und weiter!
„Sainte Rita, venez a mon aide!“ Die Heilige Rita half immer, wenn ich um Hilfe bei einer neuvaine dem 9-tägigen Gnadengebet, für meine Freunde betete.
„Wie doof, dass ich mein stabiles Arschleder nicht mitgenommen habe!“ grummelte ich.
Zu spät. Zähne zusammen beißen und weiter!
„Wenn ich so weiter mache, habe ich bald keine Zähne mehr!“ schoss es mir durch den Kopf. Ich lachte. Kurz stand mir das Bild meiner lachenden zahnlosen Oma vor die Augen die mir so vieles beigebracht hatte.
Oma sagte immer: „Du schaffst das schon. Nur weiter, Kind!“
„Was ist los?“ fragte Uwe von unten. „Nichts, nichts!“ versicherte ich.
Weiter.
Ich blickte hoch und sah das Hotel.
Angekommen!
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Vielen Dank, Anne-Chantal
Vielen Dank, Duchemin, Lagarde, Laurent, Emilie, Thierry, Uwe und wen ich vergessen habe…
Barbara Lorke 23. Mai 2018
Liebe Anne, ich wünsche Dir und Deiner Mama alles gute, ich hoffe alles wird wieder gut, ich bete zur heiligen Rita und ich würde mich freuen, wenn du mich in 3 Jahren wenn ich den Camino Portugues mit meiner Enkelin gehe, du mich virtuell wieder begleiten kannst LG Barbara ?☀️️?
hpp 24. Mai 2018 — Autor der Seiten
Danke für Deinen Kommentar und für Dein Gebet. Bist Du auch auf Facebook in der Gruppe? Oder darf ich ansonsten Deinen Kommentar mit Deinem Namen dort veröffentlichen?
Christiane 21. Mai 2018
Hallo .
Wie kann ich so ein Buch bekommen?
Ich bewundere Menschen die solch einen Kampfgeist haben und ich mir in schwierigen Situationen sie immer vor Augen halten.
LG Christiane Franz
hpp 24. Mai 2018 — Autor der Seiten
Danke für Deinen Kommentar. Das Buch kann man nur direkt bei ihr über Facebook bestellen. Wenn Du auf FB bist, dann melde Dich bei der Gruppe Jakobsweg-Caminho Português an und schreibe eine Nachricht an
Annechantal Coadmin. Wenn Du nicht da bist, kann ich vermitteln.