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Erinnerungen: Weiß wie der Tod

Opa war der erste Tote, den ich sah. Mein lieber Opa. Mutti ging in die Schule und sagte dem Lehrer, dass wir zur Beerdigung fahren müssen. Er wollte das erst nicht erlauben, aber Mutti setzte sich durch. Natürlich.

Wir fuhren mit dem Zug 5 Stunden die 100 km an die Lahn. Opa lag auf dem Bett und sah schön aus. Später holten ihn Männer und trugen den Sarg durch das Dorf, die Familie ging hinterher. Alle standen auf der Straße, guckten sehr traurig und die Männer zogen den Hut ab. Sie gingen dann alle hinter der Familie her zum Friedhof, wo der Sarg in das Grab hinuntergelassen wurde.

Nach der Beerdigung ging man ins einzige Gasthaus, man aß „Leicheweck“ zum Kaffee und Zuckerkuchen und hinterher mussten wir Kinder zu den Leuten, die nicht kommen konnten, Kuchen und Weck bringen.

Zuhause mussten meine Geschwister wochenlang mit mir „Beerdigung“ spielen. Ich war der Pfarrer, einer musste sich ins Grab legen, ich habe etwas gesagt und wir haben gesungen.

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Er dachte als Kind schon manchmal an den Tod. Er stellte sich vor, wie es wäre tot zu sein und sagte sich dann, das müsse so sein wie vor seiner Geburt. Daran kann er sich nicht erinnern. Dann kann es auch nicht schlimm gewesen sein. Also könne es auch nicht schlimm sein, tot zu sein.

Er hatte eine Todessehnsucht in sich, dachte auch oft an Selbstmord. Sein Vater hatte damit auch oft gedroht. „Mich seht ihr nie mehr wieder“, hatte er dann gesagt, sich den Mantel angezogen und war zur Tür gegangen. Und er hatte dann sich dann weinend an seinem Mantelsaum geklammert.

Manchmal hörte er später auf der Schallplatte das Lied von Hermann Van Veen „Da war ein Man, der wollt so gerne nicht mehr leben“. Und dem immer etwas dazwischen kam. So ging es ihm auch. Erst viel später hatte er den Gedanken nicht mehr, vielleicht erst, als es seinen Enkel gab.

Nur der Gedanke beunruhigt ihn immer noch, dass es vielleicht keine Möglichkeit geben könne, aus dem Leben zu gehen.

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Die zweite Leiche sah ich mit 18. Ich war bei den Johannitern und das war unser erster Autobahneinsatz. 20 km sind wir mit unserem Opel Blitz in der Nacht zum Zweiten Weihnachtsfeiertag zu einem Unfall über die eisglatte Straße gefahren. Die Polizei hatte ein Blaulicht fünf Meter hoch ausgefahren. Wir fuhren an dem Unfallauto vorbei und im Vorbeifahren sah ich schon den Mann neben dem Auto liegen – so weiß, wie ich noch nie jemanden gesehen hatte.

„Da braucht ihr nichts mehr zu machen, der ist tot“, sagte ein Mann, der dabeistand. Woher er das wisse? Er sei Arzt, aus dem kleinen Krankenhaus in der Nähe extra gekommen. Später im Krankenhaus hat er dann die junge Verlobte des Toten an der Hand gefasst, als sie nach ihrem Freund fragte: „Du musst jetzt ganz stark sein“.

Wir mussten ihn auf der Autobahn liegen lassen. Tote dürfen nicht in den Rettungswagen. Unterwegs hatte sie immer wieder gefragt. „Er kommt in einem anderen Wagen“ hatte ich gesagt.

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Was ist der Tod? Ich weiß es nicht. – Die Frage beschäftigt die Lebenden, nicht die Toten, habe ich einmal gelesen. Ich fand das beruhigend.

Schreib über Sterben. Den Tod, den Verlust. Heul dir die Augen aus dem Kopf beim Schreiben. Es bringt dich nicht um.

Der alte Trick: In der dritten Person zu schreiben, wenn es zu kompliziert oder zu traurig wird. Das macht es oft leichter, manchmal kann man sogar ehrlicher sein in als in der ersten Person.

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1 Kommentar

  1. Kurt Hohmann 19. Januar 2020

    Ja, mir kommt Vieles bekannt vor; in den Ereignisse wie in den Gedanken.
    In der dritten Person zu schreiben, wenn es schwierig wird, ist ein guter Hinweis.
    Gleich kommt: Wein, Weib und Tatort.
    Schönen Abend und herzliche Grüße, Kurt

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