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Me too – Von Knabenschändern und Prostituierten, von Lust und Scham. Eine Predigt

Liebe Gemeinde,

Sie wissen wahrscheinlich, dass ich heute mit Ihnen Gottesdienst feiere, weil an diesem Wochenende in Frankfurt der CSD, der Christopher Street Day, gefeiert wird und mein Freund Nulf da natürlich dabei ist. Und sie wissen vielleicht, dass man sich das Bibelwort, über das man predigt, nicht aussucht, sondern dass es für jeden Sonntag vorgegeben ist. Gut, man muss es dann nicht unbedingt nehmen, aber eigentlich habe ich nie eine andere Stelle gewählt. Ich finde es gut, wenn das Bibelwort einen vor eine Herausforderung stellt, der man sich stellen muss.

Also: Christopher Street Day in Frankfurt und ich lese den Text für heute. Zunächst einmal aus der Lutherbibel.

Oder wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden? Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener noch Ehebrecher noch Lustknaben noch Knabenschänder noch Diebe noch Habgierige noch Trunkenbolde noch Lästerer noch Räuber werden das Reich Gottes ererben.

Und solche sind einige von euch gewesen. Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes.

Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich.

Die Speise dem Bauch und der Bauch der Speise; aber Gott wird das eine wie das andere zunichtemachen. Der Leib aber nicht der Hurerei, sondern dem Herrn, und der Herr dem Leibe.

Flieht die Hurerei! Alle Sünden, die der Mensch tut, sind außerhalb seines Leibes; wer aber Hurerei treibt, der sündigt am eigenen Leibe.

Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört?

Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe.

Liebe Gemeinde, ich bin jetzt 67 Jahre alt, 1951 geboren, einige sind noch älter als ich. Die Jüngeren könne sich wahrscheinlich nicht vorstellen, wie man damals aufgewachsen ist. Alles, was unter der Bettdecke – und nur da, nirgends anders – geschah, war „Pfui“. Man tat es nur unter der Bettdecke. Meine Eltern glaubten noch ernsthaft, dass beim Onanieren die Gehirnzellen zerstört werden. Die Hände hatten über der Bettdecke zu bleiben und bei dem, der das nicht tat, wurden sie bisweilen festgebunden oder dick eingewickelt. Eltern, die den Verlobten der Tochter mit ihr allein ließen, konnten wegen Kuppelei ins Gefängnis kommen und Homosexuelle – das Wort „Schwule“ kannten wir nicht – kamen ins Gefängnis. Ich wusste lange nicht einmal, dass es Homosexuelle gibt.

Aber das Schlimmste war die Scham. Für alles, was mit „da unten“ zu tun hatte, schämte man sich. Was für eine Scham, was für eine Erniedrigung, als meine Mutter morgens Flecken im Bett fand und mir erklärte, dass man sowas nicht tun darf.

Heimlich habe ich die Lexika und Biologiebücher durchgelesen, um irgendetwas über da unten zu finden.

Wenn ich den Jahren um 1968 für etwas dankbar bin, dann vor allem dafür, dass sie in eine durch und durch verklemmte Zeit etwas Erleichterung brachten und etwas Freiheit.

Aber Erziehung prägt tief, noch immer kann ich nicht frei und ohne Scham über Sexualität reden. Und ich meine nicht die Scham, die ihre Berechtigung hat, weil sie unsere Intimität schützt, sondern diese verdammte Scham, die sie dir eingebläut haben.

Ja, auch die Kirche und gerade sie.

Deshalb bin ich wütend auf das, was Paulus da schreibt. Ich höre es zuerst mit meinen alten Kinderohren. „Leib“ und „Heilig“, das war die allgegenwärtige Verbindung, die Sexualität nur als schmutzig kannte.

Deshalb beteten die Kinder schon „Mein Herz ist rein“ und die Mädchen schrieben sich ins Poesiealbum, wie sie sein sollten: „Bescheiden, sittsam und rein!“

Poesiealbum meiner Mutter; "Rein bleiben und reif werden, das ist die schönste und schwerste Lebenskunst" (Walter Flex)

Poesiealbum meiner Mutter; „Rein bleiben und reif werden, das ist die schönste und schwerste Lebenskunst“ (Walter Flex)

Ich nehme einen neuen Anlauf und lese das Bibelwort noch einmal in der Übersetzung der „gerechten Sprache“:

Oder wisst ihr nicht, dass alle, die ungerecht handeln, die gerechte Welt Gottes nicht mitgestalten werden? Täuscht euch nicht! Alle, die mit Sexualität unverantwortlich umgehen, die andere Gottheiten verehren, die in der Ehe oder in gleichgeschlechtlichen Beziehungen das Recht Gottes verletzen, indem sie sexuelle Gewalt gegen Abhängige ausüben, alle, die andere bestehlen oder gierig nach immer mehr Geld und Besitz sind, die im Rausch anderen schaden, die verleumden und ausbeuten – sie alle werden die gerechte Welt Gottes nicht mitgestalten.

Einige von euch hatten diese Ungerechtigkeiten begangen. Dennoch sind sie von euch abgewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht gemacht im Namen unseres Befreiers Jesus, des Messias, und durch die Geistkraft, die von unserem Gott kommt.

Alles steht mir frei – aber nicht alles ist sinnvoll. Alles steht mir frei, aber nichts soll Macht über mich haben.

Gott gibt Speise für den Bauch, und der Bauch braucht die Speise. Gott nimmt beides zurück. Anders die verantwortungslose Sexualität. Der Körper gehört Gott, und Gott gehört zu dem Körper.

Meidet die ungerechten sexuellen Beziehungen. Jede Sünde, die ein Mensch begeht, geschieht außerhalb des Körpers. Wer aber verantwortungslose Sexualität praktiziert, sündigt gegen den eigenen Körper.

Oder wisst ihr nicht, dass euer Körper ein Tempel der heiligen Geistkraft ist, die in euch ist und die ihr von Gott erhalten habt? Ihr gehört euch nicht selbst. Ihr seid von Gott gekauft worden. Darum: Lobt Gott mit eurem Körper.

Bibel in Gerechter Sprache

Jetzt lese ich den Text mit anderen Augen. „Lobt Gott mit Eurem Körper – er ist ein Tempel Gottes.“

So wichtig ist Dein Körper!

Da ist nichts was Pfui ist, schon gar nicht die Sexualität. Und auch nicht die Lust – mit der tut sich die Kirche bis heute besonders schwer. Aber darum geht es in der Sexualität. Du darfst Lust empfinden und Lust geben. Da lacht sozusagen Gott in dir.

Nur manchmal lacht die Geistkraft Gottes in dir nicht mit. Dann, wenn ungerechte Sexualität am Werk ist.

Es ist gut, dass die Bibel in gerechter Sprache von „ungerechter Sexualität“ spricht, denn davor warnt Paulus. Sexualität, mit der ich anderen Unrecht tue. Vielleicht kennen Sie das. Den schalen Beigeschmack beim Fremdgehen. Da weint Gott in dir mit.

Ich glaube, diese Warnung gilt vor allem uns Männern. Männer vor allem können Sexualität mit Machtausübung und Gewalt verbinden. Darum ging es in Korinth, wohin Paulus schrieb.

Die Hafenstadt Korinth,  berühmt für ihren Reichtum, für die Trinkfestigkeit ihrer Einwohnerinnen und die Vergnügungssucht ihrer Einwohner  – und für ihre schönen und teuren Prostituierten. „korintheazista“ – korinthisch sein – bedeutete im Griechischen so viel wie: ausschweifend leben und überheblich daher reden.

Mittendrin die christliche Gemeinde. Eine wilde Mischung aus frommen Weltverächtern und leidenschaftlichen Weltgenießerinnen, aus solchen, die freie Liebe propagierten, und jenen, die am liebsten ganz ohne Körper gewesen wären, zu viel war ihnen schon angetan worden.

Es ist anzunehmen, daß nicht wenige Prostituierte zur Gemeinde gehörten. Sklaven und Sklavinnen waren ohnehin in jedem Fall für ihre Besitzer sexuell verfügbar. Ihre Körper gehörten den Herrinnen und Herren, nicht ihnen selbst.

Das änderte sich auch nicht durch ihren Glauben an Jesus, an den auferstandenen Rabbi von Nazareth. Es wurde nur noch schwieriger. Innerhalb der christlichen Gemeinde waren alle schließlich vollwertige Mitglieder. Menschen, keine Dinge. Es konnte sein, dass eine die Versammlung und die Gebete leitete und danach wieder Sklavin war oder Strichmädchen.

2000 Jahre später war Ruby 17 und von Beruf Nachtclub-Tänzerin. Silvio war 74 und von Beruf Ministerpräsident Italiens und Medienmogul. Später titelt die BILD: „Bunga Bunga – stolpert Berlusconi über eine angebliche Affäre?“

Samantha war 13. Roman Polanski 43. Weil Samantha betrunken und zugekokst, also kein anständiges Mädchen war und die ganze Sache über 30 Jahre her und Polanski ein berühmter, intellektueller Künstler, unterzeichnete halb Hollywood eine Petition gegen seine Verhaftung. Schließlich war Analverkehr mit einem halb bewußtlosen Kind doch keine Vergewaltigung, nicht wahr?

Das Zimmermädchen ohne Namen stammte aus Guinea. Der Herr, der aus dem Bad kam, war kurz davor, Premier von Frankreich zu werden. Nur die beiden wissen sicher, was in jenem New Yorker Hotelzimmer passierte.

Die Medien aber, auch die sogenannten seriösen, schrieben statt von Vergewaltigung und sexueller Nötigung lieber von „Sexfalle“, „Affäre“, „Schwachstelle Genitalbereich“, „vereinsamten Alphamännchen“, dem Verhältnis von Macht und Sexualtrieb, amerikanischem Puritanismus und davon, daß Frauen sich allzu oft zu mächtigen Männern hingezogen fühlen. Verführerisch und Verführbar. Gefährlich, wenn sie losgelassen.

Das guineische Zimmermädchen konnte die vielen Artikel nicht lesen. Sie konnte gar nicht lesen. Auch nicht schreiben. Bei der Polizei hatte sie ausgesagt, daß der nackte Mann sie gepackt und ihr mit Gewalt seinen Penis in den Mund gesteckt und dort ejakuliert hatte.

„Er liebt Sex, na und?“ kommentierte eine Journalistin.

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„Me too“ schreiben Frauen in aller Welt und berichten von ungerechter Sexualität. „Me too“ könnten auch die Jungen schreiben, die missbraucht wurden und werden. „Me too“, die als Sexsklavinnen verkauft in den Bordellen unserer Stadt Zwangsarbeit verrichten.

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Wenn der Messias, wenn Jesus wiederkommt, glaubten die Korintherinnen und glaubte Paulus — und er kommt schon jetzt! – wenn Jesus wiederkommt, dann wird es keine Gewalt mehr geben, keine der Körper und keine der Sprache.

Wenn Jesus wiederkommt, dann wird kein Mensch mehr einen anderen besitzen. Kein Ehemann seine Ehefrau. Keine Herrin ihren Sklaven. Kein Präsident eine Prostituierte. Wenn Jesus wiederkommt, dann werden die toten Körper lebendig und die zerstörten Seelen heil.

Wenn Jesus wiederkommt – und er kommt schon jetzt! – dann werden die Menschen vogelleicht und schön wie Lilien.

Metoo wird dann endlich eine andere Bedeutung haben.

Me too – Ich auch. Auch du.

Wisst ihr nicht, dass euer Körper ein Tempel der Heiligen Geistkraft ist?

Amen.

Anmerkungen: Anregungen zum zweiten Abschnitt dieser Predigt habe ich einer Predigtmeditation von Birgit Mattausch zu verdanken und teilweise übernommen.

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