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Mission und Kolonialismus in den Usambarabergen – eine Ergänzung

Zu meinem Bericht über meine Reise nach Mlalo im Januar 1980 habe ich eine Mail erhalten, die mich gefreut hat und noch einmal hat nachdenken lassen.

Die Urenkelin einer der beiden Missionare, die sich 1891 durch die Usambara-Berge gekämpft hatten und dort die Missionsstation Hohenfriedeberg gegründet hatten, schrieb mir u.a.:

Immer mal wieder packt es mich, das Internet nach Informationen zu meinem Urgroßvater und seinem Wirken in Afrika zu durchforsten, so auch heute. Die Bücher „Führung und Erfahrung“ stehen bisher leider noch ungelesen in meinem Bücherregal, ich weiß noch viel zu wenig über die ganze Thematik. Auch habe ich mich gefragt, ob es nicht auch kritische Stimmen zu den Missionstätigkeiten meines Urgroßvaters geben müsste. In unserer Familie und auch sonst habe ich diesbezüglich noch nichts gehört oder gelesen…

Das hat mich veranlasst, die Geschichte dieser ehemaligen Missionsstation etwas genauer zu betrachten. Vor allem dachte ich, auch etwas zur Missionskritik geschrieben zu haben. Aber ich täuschte mich. Ich hatte zwar einiges dazu gelesen – aber davon war schließlich doch fast nichts in den Beitrag eingeflossen. Also begab ich mich noch einmal auf Spurensuche.

Spurensuche

Meine Betrachtungen beziehen sich auf die Bethel-Mission Hohenfriedeberg bei Mlalo in den Usambara-Bergen und vor allem den Zeitraum bis zum ersten Weltkrieg.

Map of the German Empire - 1914.PNG
Deutsche Kolonien bis 1919 CC BY-SA 3.0, Link


Die Ankunft der Missionare

Die beiden Missionare Ernst Johanssen und Paul Wohlrab waren 1891 nach Mlalo gekommen. Entsandt wurden sie von der Evangelischen Mission für Deutsch-Ostafrika“ (später Bethel-Mission).

Mit an die 50 Trägern machten sie sich auf den Weg in die Berge. Militärischen Schutz lehnten sie jedoch ab – „ohne Bajonette“ wolle man den Menschen begegnen, schrieb Johanssen später.

So ward es eine stattliche Karawane. Ein Junge mit der schwarz-weißroten
Fahne eröffnete den Zug. Ihm folgte Missionar Wohlrab, dann die Träger. Den Schluss der langen Kette machte Bruder Johanssen.

Nach 14 Tagen – man reiste damals noch sehr langsam – war das Ziel erreicht. Si Kiniassi und sein Volk warteten schon sehnlichst. Unter Freudengeschrei und vielen Salutschüssen zogen die weißen Männer ein und bauten auf einem günstig gelegenen Hügel Mlalo gegenüber
ihre Station, die sie Hohenfriedeberg nannten.
1

Das war der Beginn der hoffnungsvollen Mission in Usambara…

Nach einigen Tagen beschwerlicher Wanderung durch eine eindrucksvolle Landschaft erreichten sie den Ort Mlalo. Gespräche mit Häuptling Sikinyassi, dem Oberhaupt des Volkes der Schambala, verliefen erfolgreich und die Missionare erhielten die Erlaubnis, sich einen Platz für die Niederlassung auszusuchen.
„Überall weithin sichtbar, eignete sich der Platz ganz besonders zu einem Ort, von dem ein Gotteshaus alle zum Besuch einlädt“, beschrieb Johannsen später die Lage der künftigen Missionsstation ‚Hohenfriedeberg‘.
Nachdem sie mit benötigten Baumaterialien aus Tonga zurückgekehrt waren, reinigten sie diesen Platz und begannen, aus Baumstämmen, Bambus und Lehm nach der Art der Eingeborenen ihr erstes Haus zu bauen 2

An diesem Baum fing es an
An diesem Baum fing es an

Sie waren junge Missionare, die als Pfarrer eine Missionsausbildung bei Bodelschwingh in Bethel absolviert hatten und sich von seiner Begeisterung anstecken ließen.

Man muss sich die beiden wohl als Menschen vorstellen, die von ihrem Glauben überzeugt waren und eine Menge Mut und Abenteuerlust hatten. Schließlich wussten sie nicht, ob sie lebend ankommen – geschweige denn jemals ihre Heimat wiedersehen würden.

Sie kamen, um den Missionsauftrag Jesu „Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker“ zu erfüllen. Für sie war die Weitergabe der „Frohen Botschaft“ untrennbar mit den Aufgaben der Bildung und der Medizischen Hilfe verbunden.

Für beide war die Bibel in ihrem Wortlaut verbindlich und hatte universelle Gültigkeit. Als ordinierte Pfarrer waren sie in der Missionarischen Hierarchie ganz oben angesiedelt.

1980 hat Peter Heller einen Film gedreht mit dem Titel „Usambara – das Land, wo der Glaube Bäume versetzen soll“. Es ist ein unglaubliches Glück, dass dieser Film noch im Internet zu finden ist, enthält er doch sogar den Bericht eines Zeitzeugen, Andrea Magissa, der beide noch erlebt hat.

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Um das Wirken von Johannsen und Wohlrab und das Verhältnis ihrer Mission zu Kolonisation und Gewalt beurteilen zu können, muss man sich den Hintergrund der Kolonisation und der Bethel-Mission etwas genauer ansehen.


Die Hintergründe

Wie Deutsch-Ostafrika zustande kam

Deutsch-Ostafrika bestand aus dem Gebiet des heutigen Staates Tansania (ohne Sansibar), Burundi, Ruanda und einem kleinen Teil Mosambiks. Diese Länder gab es damals natürlich nicht, die Gebiete lagen an der Ostküste Afrikas im militärischen Einflussbereichs des Sultans von Sansibar.

Das sog. Deutsch-Ostafrika war von einer Privatperson, Carl Peters, auf abenteuerliche und kriminelle Weise begründet worden. Der hatte eine „Gesellschaft für deutsche Kolonisation gegründet, war illegal nach Sansibar eingereist und von dort in das ostafrikanische Hinterland. Dort hatte er örtlichen Häuptlingen* deutschsprachige Verträge vorgelegt und sie dazu gebracht, diese zu unterzeichnen.

*Kleine Anmerkung: Der Begriff „Häuptling“ ist an sich schon Bestandteil einer Sprachregelung, die Unzivilisiertheit und Rückständigkeit beinhaltet.

Die deutsche Reichsregierung hatte daran zunächst kein Interesse. Als 1885 auf der Berliner Kongo-Konferenz über die Aufteilung Afrikas unter den Kolonialmächten verhandelt wurde, drohte der angereiste Peters damit, mit Belgien zu verhandeln und erreichte, dass Kaiser Wilhelm einen Schutzbrief unterzeichnete. Mit diesem wurde die Besetzung Ostafrikas legitimiert.

Carl Peters. Bundesarchiv, Bild 183-R30019 / Autor unbekannt / CC-BY-SA 3.0
Carl Peters. Bundesarchiv, Bild 183-R30019 / Autor unbekannt / CC-BY-SA 3.0

In der Konferenz und folgenden Verträgen sicherte sich das Deutsche Reich „endlich“ auch Kolonialgebiete. Nach einem Vertrag mit Groß-Britannien 1890 wurde schließlich 1891 Deutsch-Ostafrika dem Deutschen Reich einverleibt.

Den zum Teil erbitterten Widerstand der Bevölkerung – vor allem der Masai, der Hehe und der Maji-Maji beantworteten die Deutschen mit brutaler Gewalt gegenüber der gesamten Bevölkerung.

Welt- und Menschenbild der Kolonialherren und der Missionare unterschieden sich. Deshalb will ich zunächst etwas auf die Kolonialmacht eingehen.

Weltbild und Politik der Kolonialherren

In Deutsch-Ostafrika herrschte immer immer noch der Abenteurer Carl Peters mit brutaler Gewalt- inzwischen mit kaiserlicher Ermächtigung.

Die einheimischen Menschen gaben Peters einen bezeichnenden Namen: Mkono wa damu – Mann mit den blutbefleckten Händen. In Deutschland war er inzwischen als Hänge-Peters bekannt. Er ist wohl nicht anders als als Sadist zu bezeichnen.

Peters hielt sich schwarze Frauen, die ihm sexuell gefügig sein mussten. Als eine von ihnen, Jagodia, eine Beziehung zu seinem Diener hatte, ließ er beide erhängen und ihre Heimatdörfer niederbrennen.

In seinem Sadismus unterschied er sich höchstens graduell von anderen Kolonialführern.

Man darf niemals vergessen, daß die ganze Verwaltung von Kolonien nur dazu da ist, um eben die Grundlagen für wirtschaftliche Unternehmungen zu bilden.
Carl Peters

Die deutsche Geschichte des Kolonialismus ist – obwohl die Kolonien nicht einmal drei Jahrzehnte bestanden – eine Geschichte der Gewaltherrschaft bis hin zum Völkermord.

Kolonialherren
Kolonialherren

Bei der gewaltsamen Niederschlagung jedes Widerstand gab es in Deutsch-Ostafrika etwa 300.000 Tote, etwas doppelt so viel wie beim Völkermord an den Hereros Deutsch-Südwestafrika.

Bezeichnend ist, dass auch die blutigsten Strafmaßnahmen als „streng“ bezeichnet wurden, als seien sie zur Erziehung notwendig.

Ich wollte den Schwarzen zeigen, was die Deutschen sind. Ich ging gegen Dörfer im Süden vor. Überall dasselbe Schauspiel: nach kurzem Widerstand stoben sie auseinander, Feuerbrände wurden in die Häuser geschleudert, Äxte arbeiteten. So wurden zwölf Dörfer verbrannt. Uns gelang es noch 200 – 300 Stück Vieh zu greifen und die Hirten, soweit sie nicht flohen, niederzumachen. Meine Leute plünderten in den verschiedenen Dörfern.
Carl Peters

Dabei ging es – natürlich – vor allem darum, aus den Kolonien bestmöglichen Profit zu schlagen. Profit machten allerdings nur die Privaten Handelsgesellschaften. Die Bilanz bis zum 2. Weltkrieg war negativ.

Ideologisch gerechtfertigt wurde das mit dem Bild der außereuropäischen Menschen als „Wilde“ aus „Naturvölkern“.

Es gab dabei es verschiedene Ausprägungen. Allen Ausprägungen gemeinsam war jedoch, dass Europa als bewertende Norm angesehen wurde. Aus dieser Sicht konnte man je nach Ausprägung

  • die „Wilden“ als „Barbaren“ sehen, die gezähmt werden mussten – oder als zu entwickelnde Primitive, die erzogen werden mussten
  • Die „Negerrasse“ als Zwischenstufe zwischen Tier und Mensch oder gar sehen – oder als Menschen auf einer primitiveren Stufe.
  • Die „Erziehung der Wilden“ konnte man als einen notwendigen Dressurakt ansehen wie er bei Tieren notwendig war oder als strenge Erziehung, wie sie bei unbelehrbaren Kindern notwendig war.

Die einheimische Bevölkerung wurde dabei zur billigsten Arbeitsleistung gezwungen. Um Arbeitsleistung erzwingen zu können, wurden willkürliche Steuern eingeführt: eine „Hüttensteuer“, die später durch eine Kopfsteuer abgelöst wurde.

Da diese Steuer natürlich nicht gezahlt werden konnte – woher auch? – wurde sie durch Arbeitszwang abgegolten. Selbst die Deutsch-Afrikanische Zeitung schrieb 1907:

“Es wurden die Frauen und Töchter der säumigen Steuerzahler gefänglich eingezogen und blieben so lange in Schuldhaft, bis die Steuer bezahlt war. Was diese Schuldhaft für die Frauen zu bedeuten hatte, braucht man den Kennern der Verhältnisse nicht erst auseinanderzusetzen.”

Die verhängten Strafen waren drakonisch, wobei Einheimische nicht der Justiz unterworfen waren, sondern dem Kolonialbeamten als obersten Richter.

Das Recht auf Strafen stand aber nicht nur den Kolonialbehörden sondern auch den Farmern zu, eigentlich jedem Weißen.

An der Küste macht es einen unangenehmen Eindruck, wenn so viele Weiße mit der Peitsche spazieren gehen. Auf dem Tisch der Hauptkasse in Dar-es-Salaam habe ich tatsächlich eine Peitsche vorgefunden! Jeder Weiße hat ein gewisses Züchtigungsrecht gegenüber seinen Dienstboten, Arbeitern usw.
Kolonialstaatssekretär Dernburg 1908

Erziehung als Mittel der Kolonisation

1885 schrieb die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft einen Wettbewerb aus zur Beantwortung der Frage Wie erzieht man am besten den Neger zur Plantagenarbeit?

Die Arbeiterfrage war zur wichtigsten Zukunftsfrage der Kolonien geworden. Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass direkter körperlicher Zwang auf Dauer nicht die gewünschten Ergebnisse erzielte. Dafür gab es viele Gründe. Zum einen war das Land groß und unüberschaubar genug, dass sich die Menschen durch Flucht entziehen konnten, zum anderen schuf der Arbeitszwang eine Unzufriedenheit und Hass der Bevölkerung, der auf Dauer kontraproduktiv war. Dazu kamen die nicht zufriedenstellenden Arbeitsergebnisse unter Zwang und auch der Druck im Deutschen Reich, wenn Gräuel verbreitet wurden.

Es war ein Missionar, der den ersten Preis gewann Missions-Superintendent Merensky empfahl eine Reihe von Maßnahmen mit dem Ziel einer Besserstellung von freien Arbeitern.

Es schien wichtig, sie allmählich durch Bildung an eine deutsche Kultur, vor allem an Arbeitswillen heranzuführen.

Diese Aufgabe konnten eigentlich nur die Missionen erfüllen.

Die Bethel-Mission

1886 wurde auf Betreiben der Deutschen Ostafrika-Gesellschaft die Deutsch-Ostafrikanische Missionsgesellschaft begründet, um die Kolonie durch missionarische Arbeit zu stabilisieren. Nachdem deren Vorsprechen bei verschiedenen in Afrika bereits tätigen Missionsgesellschaften ergebnislos blieb, wandte sie sich an Pastor Friedrich von Bodelschwingh, der in Bethel bei Bielefeld die Innere Mission ins Leben gerufen hatte.

Dort hatte er u.a. mit Wilhelmsdorf die die erste Arbeiterkolonie gegründet, die Arbeitslosen und Obdachlosen Unterkunft und Arbeit boten.

Er ging dabei davon aus, dass die Erziehung zur Arbeit Hilfe zur Selbsthilfe sei.

Hier soll nach Möglichkeit Erbarmen geübt und in arbeitslose, arbeitsbegehrende Hände das köstliche Gut gelegt werden, nämlich die Arbeit selbst.
Friedrich von Bodelschwingh

Bodelschwingh, der selbst gerne Missionar geworden wäre, erklärte sich gerne bereit und übernahm bald den Vorsitz der Missionsgesellschaft, die schnell überall Bethel-Mission genannt wurde.

Die Bethel-Mission wird durch und durch geprägt durch diese charismatische Persönlichkeit mit dem befehlsgewohnten Auftreten eines Adligen. Alle Missionarinnen und Missionare gehen durch seine Schule und transportieren seine Vorstellungen nach Ostafrika.

Feste Bestandteile dieser Vorstellungen sind:

  • Die Herkunft aus der Erweckungsbewegung und der unerschütterliche Glaube an die Bibel als Gottes (wörtlich zu verstehendes) Wort
  • Daraus abgeleitet die Überzeugung, das Evangelium zu jedem Menschen bringen zu müssen, wobei
  • Mission den ganzen Menschen betrifft und deshalb auch die soziale Situation bessern will
  • Die Überzeugung, dass „Faulheit“ Sünde und mit einem christlichen Leben unvereinbar sei
  • Das Bild Bethels als einer Familie unter einem patriarchalischen Vater, der fürsorglich und streng über seine Kinder wacht
  • und last not least der nationale Konservatismus und die Glorifizierung des Kaiserreichs

Die Mission in Mlalo

Nur vor dem Hintergrund der Kolonialen Situation und der Politik der Bethelmission kann man das Wirken der Missionare in Mlalo verstehen.

Man wird ihnen deshalb persönlich wenig vorwerfen können. Im Gegenteil: in vielem unterschieden sich ihre Vorstellungen grundlegend von denen der Kolonialmacht.

Mission sollte nach ihren Vorstellungen die Lebenswelt der Einheimischen respektieren und letztlich eine eigenständige Missionskirche aufbauen. Dabei sollte die lokale Kultur und ihre sozialen und familiären Strukturen weitmöglichst erhalten bleiben.3

Dabei folgten sie der Missionstheorie von Gustav Warneck, dem „Vater der Missionswissenschaft. Der schrieb

Soll die Mission fruchtbare Arbeit tun, soll sie das Christentum im fremden Volk als ein einheimisches Gewächs wirklich einwurzeln, soll sie ihr Ziel: selbständige Kirchen zu begründen, tatsächlich erreichen, so muss sie mit Achtung und Weisheit auf die Völkerverschiedenheiten eingehen, die als eine geschichtliche, unter Gottes ordnendem Walten gewordene Tatsache (Apg 17,26) ihr entgegentreten, und ihren Arbeitsbetrieb der Naturart der verschiedenen Völker anpassen.3

Wohlrab und Johannsen versuchten zunächst, die Kultur, die religiösen Vorstellungen der Einheimischen und ihre Sitten und Gebräuche zu verstehen und dafür auch ihre Sprache zu erlernen.

Zugleich begannen sie mit ihrer Mission, zunächst so, dass sie in morgendliche Andachten hielten und in den umliegenden Dörfern pflegerische Hilfe leisteten. Immer wieder hängten sie mitgebrachte Bilder an Bäume und erzählten den Menschen, die wissen wollten, was die Bilder darstellten, biblische Geschichten.

Sie interessierten sich sehr für die Geschichten der Einheimischen, die sie sammelten. Später waren diese Märchen, wie Andrea Magissa im Film erzählte, das erste was sie in der Schule lernten.

Zuerst lernten wir unsere eigenen Märchen, die aber von der deutschen Mentalität geprägt waren.

Andrea Magissa im Film „Usambara, das Land, wo Glauben Bäume versetzen soll“

Was Magissa hier sagt, zeigt im Grunde des gesamte Dilemma der Mission auf. Sie konnten die Erzählungen der Afrikaner nur aus ihrem eigenen Hintergrund verstehen. Als sie die Sprache lernten, schrieben sie einfache Begriffe auf und konnten unterschiedliche und differenziertere Bedeutungen nicht erkennen. Wenn sie versuchten, den Glauben der Afrikaner zu verstehen, um an ihm anknüpfen zu können, gingen sie von ihren eigenen Glaubensvoraussetzungen aus. Sie fragten nach dem höchsten Wesen oder was ist im Himmel? und verstanden nicht, dass solche Vorstellungen bei den Menschen nicht vorkamen. Deren Glaube bestand vor allem in einer tiefen Verbundenheit mit den Ahnen.

Nicht nur dieses Verständnis war von der deutschen Mentalität geprägt – alles war von der deutschen Mentalität geprägt. Einer Mentalität in der besonderen Ausprägung des Politisch Konservativ-nationalen und Kaisertreuen, religiös Lutherisch-Erweckungsbewegten.

Die gesamte Mission ist nach diesem Bild gestaltet, obwohl die Missionare eigentlich anderes vorhaben.

Schule

Naürlich gab es getrennte Schulen für die weißen für die schwarzen Kinder. Wohlrab und Johannsen hatten inzwischen in Deutschland ein Schwesternpaar geheiratet und bald Kinder bekommen, nach ihnen waren weitere Missionsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter mit Kindern nach Hohenfriedeberg gekommen.

Die Missionsschule hatte bald viele Schüler. Wohlrab war als „Schulwart“ für das Schulwesen auch in inzwischen gegründeten anderen Stationen zuständig.

Sein 1906 den Behörden vorgelegte Plan sieht drei Stufen mit jeweils zwei Jahren Dauer vor, wobei nur die Grundstufe die eigentliche Volksschule war, in der in den Fächern Biblische Geschichte, Schreiben, Lesen und Rechnen unterrichtet wurde. Auch das Lesen und Schreiben bezog sich auf Biblische Geschichten.

Die beiden folgenden Stufen waren eng mit dem Gemeindeaufbau verbunden. In der Mittelstufe im nahegelegenen Luwandai wohnten die Schüler vor Ort und hatten einen strengen und vollen Tageslauf.

Die Oberstufe schließlich bot eine „Gewerbeschule“ mit einer Handwerks- oder Handelsausbildung, eine dreimonatige Lehrerausbildung und eine Ausbildung, die zur eigenständigen Tätigkeit in der Gemeinde befähigte.

Die Erinnerungen Magissas zeigen, dass der Schulalltag von Deutschtum geprägt war, obwohl im Gegensatz zu fast allen anderen Schulen in der Muttersprache der Kinder unterrichtet wurde, um „Herz und Seele“ zu erreichen.

Die Vermittlung der deutschen Werte Gehorsam, Disziplin, Ordnung, Fleiß und Pünktlichkeit waren unverzichtbare Bestandteile des Schulalltags. Jede Unregelmäßigkeit wurde streng bestraft.

Gemeinde

Das gleiche galt auch für das Leben in der Gemeinde. Nach und nach ließen sich viele Menschen taufen, obwohl das meist mit der Verstoßung aus dem Familienverbund verbunden war.

Mit der Taufe wurden sie in die Gemeinde aufgenommen und meist in eigenen Dörfern angesiedelt.

Trotz des erklärten Ziels, die vorgefundenen Strukturen, Sitten und Gebräuche weitgehend zu erhalten4, fand eine folgenreiche Anpassung an die Vorstellungen der Missionare statt.

…gibt es aber eine ganze Menge volklicher Sittengestaltungen, bezüglich deren kaum ein Zweifel besteht, dass sie dem Naturgebiet menschlicher Lebensordnungen bzw. verschiedener Kulturentwicklung angehören, und diese zu schonen ist die Pflicht missionarischer Weisheit. Hierher rechnen wir die Volkstracht, die Gruß- und Anstandsformen, die Gemeinschaftsbildungen, die Rechtsformen, soweit sie nicht barbarisch sind, die Kunstideale und die religiös indifferenten und sittlich unanstößigen Festgebräuche4

Das Leben in der Gemeinde muss man sich streng reguliert und überwacht vorstellen. Zuwiderhandlungen gegen Pflichten wurden durch Kirchenzuchtmaßnahmen bestraft, durchaus auch durch körperliche Züchtigung.

Ausbreitung

Von Mlalo aus breitete sich die Bethel-Mission weiter im Usambaragebiet aus. In unmittelbarer Nähe entstand ein Lepradorf (das es auch bei meinem Besuch 1980 dort noch gab), in Lutindi eine Sklavenfreistatt und Kolonialirrenanstalt, daneben eine ganze Reihe weiterer Stationen und Schulen.

Vom Ersten Weltkrieg bis heute

Das Ende des Ersten Weltkrieges bedeutete auch das Ende der Deutschen Kolonien und das vorläufige Ende der Bethel-Mission in den Usambarabergen. Die Kolonie kam unter englische Verwaltung, nach dem 2. Weltkrieg dann unter UN-Mandat.

Schon 1920 konnte die Bethel-Mission mit Unterstützung Englands und englischer Missionsgesellschaften zurückkehren.

Aber in dieser kurzen Zeit hatte sich schon viel verändert. Die Gemeinden waren tatsächlich selbstständig geworden. Unter den zurückkehrenden Missionaren gab es sehr auseinandergehende Meinungen über den Umgang mit dieser Situation. Die Vorausschauenden ahnten, dass diese Entwicklung unumkehrbar war.

Diese Zeit dauerte bis zum Zweiten Weltkrieg. Ab 1925 konnten mit Erlaubnis der britischen Behörden auch wieder Deutsche nach Tanganjika kommen. Auch mit ihnen verschärften sich die Konflikte.

Ab 1938 wurden die Missionare von den Engländern interniert.

Ab 1950 kehrte die Bethel-Mission wieder nach Mlalo zurück, diesmal in eine völlig veränderte Situation. Der gesamte Kontinent war nach dem zweiten Weltkrieg auf dem Weg in die Unabhängigkeit – wenn auch der Weg noch eine Zeit dauerte. Die Kirchen waren selbständig geworden und im Ökumenischen Rat gleichberechtigte Partner.

Trotzdem versuchte Bethel noch lange, als Geldgeber Einfluss auszuüben.

1961 wurde Tanganjika selbstständig, drei Jahre später vereinigte es sich mit Sansibar zur Vereinigten Republik Tansania.

Der erste Staatschef war Julius Nyerere. Sein Ziel war der Aufbau eines spezifisch afrikanischen Sozialismus , der sich von den autoritären Sozialismusmodellen des Ostblocks unterscheiden sollte. Vorbild für die sozialistische Umgestaltung Tansanias sollte stattdessen die „Ujamaa“, die Dorfgemeinschaft als Produktions- und Verteilungskollektiv, sein.

Nyerere war ein charismatischer und sympathischer Staatschef, dem international viel Sympathie entgegengebracht wurde, und der in Tansania sehr geehrt wurde. Er war auch noch im Amt, als wir 1980 nach Tansania kamen.

1000 tz shillings front

1990 ist Nyerere zurückgetreten. Er gestand ein, dass Teile seines Projektes gescheitert seien. Zu den bis heute bleibenden Erfolgen gehören aber das entstandene nationale Zusammengehörigkeitsgefühl, eine über Jahrzehnte stabile politische Organisation und ein Bildunsgwesen auf hohem Standard – alles für afrikanische Staaten alles andere als selbstverständlich.

1999 ist Nyerere gestorben, zehn Jahre später erhielt er von den Vereinten Nationen posthum die Auszeichnung „World Hero of Social Justice“

Heute ist die Evangelisch-Lutherische Kirche in Tansania Träger aller Einrichtungen der Mission.


Versuch einer Bewertung

Kolonialpolitik

Kolonialismus und Mission sind eng miteinander verknüpft, aber können nur jeweils für sich bewertet werden.

Der deutsche Kolonialismus hat Ostafrika genauso wie Namibia, Togo und die Südseeinseln mit Gewalt überzogen, um deutsche Interessen durchzusetzen. Das hat in Tansania tiefe Spuren hinterlassen. Der Deutschlandfunk zitiert den Tansanier Charles Kayuka:

Der Kolonialismus hat uns unserer Menschlichkeit beraubt. Er hat uns nicht nur versklavt, unterdrückt und gequält. Er hat dazu geführt, dass wir uns selbst nicht mehr vertraut haben, uns selbst nicht mehr als Menschen ansahen. Menschen aus Deutsch-Ostafrika wurden nach Europa verschleppt und in Zirkusshows vorgeführt wie Tiere. Die schlimmste Folge des Kolonialismus war psychologischer Natur. Wir leben weiter so, als seien wir immer noch kolonisiert. Es ist Zeit, unsere gestohlene Identität zu reparieren.

Tansania gehört bis heute zu den ärmsten Ländern der Erde. Etwa 50% der Menschen leben heute dort in absoluter Armut, verdienen also weniger als 1,90 $ täglich, was weltweit als zum minimaler Lebensunterhalt notwendig zählt.

Die Unterentwicklung ist auch eine Folge der Kolonialpolitik und der Entwicklungspolitik nach 1945, wobei aber auch andere Bedingungen dazu führten.

Politisch gehört Tansania zu den stabilsten Staaten Afrikas. Das ist wohl zu einem großen Teil der klugen Staatsführung des ersten Präsidenten Julius Nyerere zu verdanken.

Ein großes Problem in der Bewertung liegt darin, dass es in der Geschichte keine Gegenbilder gibt. Von Europa ausgehend sind alle Gebiete der Welt gewaltsam kolonisiert worden.

Eine Ausnahme bildete einzig China. Mit dem gewerblich und kulturell hochentwickelten China gab es schon seit dem frühen 18. Jahrhundert Handelsbeziehungen. Im Gefolge der Opiumkriege wurden mehr oder weniger gewaltsam Küstengebiete wie z.B. Hongkong auf englischer und Tschingtau – Qingdao – auf deutscher Seite gepachtet.

Wie also hätte sich Afrika ohne den Kolonialismus entwickelt? Wir wissen es einfach nicht.

Aber ohne Zweifel hätte es eine Entwicklung gegeben. So gab es schon seit dem Beginn der christlichen Zeitrechnung tansanische Handelsbeziehungen, zur Zeit der deutschen Kolonisation pflegten das Sultanat Sansibar, das Volk der Nyamwezi und das Königreich Ruganda ausgeprägte Handelsbeziehungen, die zu einer Entwicklung geführt hätten.

Diese Herrscher verhandelten mit den Deutschen durchaus selbstbewusst und auf Augenhöhe, sie wurden aber nach Strich und Faden über den Tisch gezogen.

Und es darf auch nicht verschwiegen werden, dass auch das Herrscher waren, die mit Gewalt regierten.

Bethelmission

Man muss sich vor Augen halten, dass die Bethel-Mission in vielem ein Abbild Bethels war. Bethel verstand sich als am Familienbild orientierte Gemeinde mit einem strengen hierarchischen Aufbau. Der „Vater“ von Bodelschwingh – der sich auch nie anders nennen ließ – war unumstrittener Regent an der Spitze. Unter ihm waren die Hausmütter oder -väter, darunter die anderen Diakone oder Diakonissen (die es in Hohenfriedeberg zunächst nicht gab), darunter die Hilfskräfte und ganz unten das Klientel. Eine Sonderrolle nahmen noch einmal die wenigen Pastoren ein, die es nur als Vorstände gab, wogegen die Usambaramissionare Pastoren waren.

In diesem Gefüge wurden die jeweils hierarchisch untergeordneten als Kinder angesehen. Die Kinder mussten mit Fürsorge und Strenge auf den rechten Weg geleitet werden.

Umgekehrt wurde von den „Kindern“ unbedingter Gehorsam verlangt.

Was das im Einzelnen heißt, kann man sich heute nur noch schwer vorstellen. Gewalt war in der Erziehung allgegenwärtig. In den Anstalten war das potenziert. Erst in jüngster Zeit wurde der Öffentlichkeit bewusst, welche körperliche und oft auch sexuelle Gewalt noch bis weit in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts in den Anstalten, den Psychiatrien und Heimen herrschte.

In dieser Hierarchie bildeten die „Neger“ die unterste Stufe. Auch die bisher an unterster Stufe stehenden Gemeindeglieder konnten so noch auf die armen und bemitleidenswerten Negerkinder herabsehen.

Bis in meine Kindheit standen in den Kirchen die „Nickneger“, die dankbar für jede kleine Spende waren.

Die Figur nickt dankbar bei Einwurf einer Münze. 
Güwy, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0
Die Figur nickt dankbar bei Einwurf einer Münze.
Güwy, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0

Auch Wohlrab und Johannsen waren befangen in dieser Vorstellungswelt. Gleichzeitig waren sie jedoch außerordentlich reflektierte Menschen, die dem auch kritisch gegenüberstanden. Johannsen schrieb später:

Johanssen: Führung und und Erfahrung5

Was weiterwirkt

Die wohl positivste Ergebnis der Mission war, dass sich in ihr und vor allem in ihren Schulen eine Dynamik entwickelte, die zu einer nationalen Emanzipation führten. Aus vielen Schülerinnen und Schülern der Missionsschulen wurden Kämpferinnen für die Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten, so auch Nyerere.

„In Tanganjika glauben wir, dass nur böse, gottlose Menschen die Hautfarbe eines Mannes zu den Kriterien für die Gewährung von Bürgerrechten machen würden.“


Julius Nyerere vor seinem Amtsantritt 1960 an den britischen Gouverneur General Richard Gordon Turnbull.

„Meine Generation ist ein Produkt der Mission. Ohne die Missionen und Missionare wäre ich heute nicht hier. Ich werde niemals genügend Worte haben, um den Missionen für das zu
danken, was sie für uns getan haben.“


Nelson Mandela


Was ich gelernt habe

Ich habe eine lange Reise in die Vergangenheit unternommen, viel gelesen. Dabei habe ich vieles erfahren, was ich 1980 noch nicht wusste.

Was ich dabei vor allem gelernt habe: wie sehr ich – und wohl die meisten von uns – noch von diesem Kolonialen Erbe und diesem Afrikabild geprägt sind.

Natürlich hatte ich z.B. meine Sprache längst angepasst, von „Negern“ sprach ich schon lange nicht mehr. Ich war aber der Meinung, in meiner Kindheit habe dieser Begriff (im Gegensatz zu dem afrikanischen Nigger) keinen diskrimierenden Charakter gehabt, es sei sozusagen einfach eine Gattungsbeschreibung gewesen.

Dem war aber beileibe nicht so. Unser Bild war geprägt von dem kolonialen Bild Afrikas. Bei mir in der Variante des versklavten Unterentwickelten.

Ich habe gelernt, wie dieses Bild auch meine Sicht auf andere Länder prägt. Die Suche nach dem Authentischen, dem Ursprünglichen romantisiert Geschichte und Gegenwart. Dies gilt vor allem für den Fotografischen Blick.

Eine interessante Broschüre dazu ist Mit kolonialen Grüßen (PDF)

Ich habe gelernt, an wie vielen Orten in der BRD eine Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit stattfindet. Unzählige Straßen sind immer noch nach Kolonialherren (und wenigen -frauen) benannt. Sogar Carl-Peters-Straßen gibt es noch, obwohl die meisten im Zuge der Proteste umgewidmet wurden. Glücklicherweise ist Karl Peters kein seltener Name.

Hier eine Übersicht freedom-roads

Bis heute gibt es von der Bundesregierung anders als zu Namibia keine Entschuldigung, kein Eingeständnis geschweige denn eine Wiedergutmachung.

Im Zusammenhang mit der Eröffnung des Humboldt Forums in Berlin ist die Debatte über das „Koloniale Erbe“ neu entflammt. Auf der Seite des Deutschen Kulturrates gibt es viele lesenswerte Beiträge dazu:

Deutscher Kulturrat: Erinnerungskultur


Ein Phoenix-Film zu der Kolonie Deutsch-Afrika

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  1. Carl Paul, Die Mission in unseren Kolonien, 1898
  2. Regine Buschmann: „Friedrich von Bodelschwinghs Konzept der ‚Diakoniemission‘ „in: „Being in Ecumenical Discourse on Concepts of Diakonia“, Heidelberg 2004, S.196
  3. Gustav Warneck , Evangelische Missionslehre, Bearbeitet und neu herausgegeben von Friedemann Knödler Bd I und Bd. II, S. 634
  4. ebda. S. 658
  5. Quelle: nach Thorsten Altena, Ein Häuflein Christen mitten in der Heidenwelt des dunklen Erdteils, S.134

Weiterer Link:

Bethel historisch

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