Dienstag, Tag 2
Morgens um kurz nach 8 ist der Speisesaal voll. „Voll mit alten Weibsen“, Witwen von der schwäbischen Alb, wenn Sie wissen, was ich meine.
Gestern Abend saßen schon welche neben uns in der Lobby und schwäbelten missgünstig ihre Meinung über Prag im Allgemeinen und ihre Reisegesellschaft im Besonderen einander zu. Die eine war wohl zum ersten Mal unterwegs. Die andere schon öfters mal mit einer Reisegesellschaft unterwegs. Beide rätselten, ob man hier was zu Trinken bestellen könnte, während wir unser Weinchen süffelten.
Morgens also voller Speisesaal, anstehen für Kaffee aus dem Automaten. Trotzdem guter, wie sich herausstellt. Und auch ein schönes Buffet. Also, der Tag kann schön werden, wenn nicht…
Tja, ein Blick durch die Gardinen belehrt uns: es hat sich eingeregnet. Draußen aufgespannte Schirme. Zum Glück habe ich einen Taschenkniprs eingepackt.
Uns schreckt das nicht. Ich grüße auf Twitter und Facebook noch Gott, die Welt und meine Freunde und dann ziehen wir los. Für den ersten Tag haben wir uns viel vorgenommen: die Altstadt, ein Gang über die Karlsbrücke, die Josefsstadt“, und zwei drei Museen müssten vielleicht auch noch drin sein. Aber wir sehen das locker. Was kütt, das kütt, wie wir Frankfurter sagen.
Gleich am Eingang der Altstadt von unserer Seite aus die „Teynkirche“, die Kirche der Jungfrau Maria vor dem Teyn“, sie wollen wir zuerst besichtigen. Aber wie kommt man rein? Sie steht hinter einer Häuserreihe, in die seitlichen Eingänge kommt man nicht rein. Schließlich entdecken wir, dass man durch eine Toreinfahrt hindurchgehen und so zur Kirche gelangen kann.
„Geöffnet ab 10 Uhr“ – ein routinierter Stadtbesichtiger oder welche, die das nicht so gelassen angehen wie meine Liebste und ich, hätten das sicher vorher abgecheckt. Noch eine knappe Stunde, kommen wir also auf dem Rückweg noch einmal vorbei.
Auf dem Altstädter Marktplatz ist Ostermarkt, wie an vielen Stellen der Stadt. Als wir vor einem Jahr in Wien waren, gabs die Märkte auch überall. Hier auf dem Platz hat das den Vorteil, das eigens eine große Brücke aus Holz gebaut wurde, von der aus man schöne Fotos machen kann – könnte, wenn es nicht so regnerisch wäre. So wird alles ein wenig trübe.
Die Astronomische Uhr am Altstädter Rathaus bewegt sich nur alle volle Stunde und die ist natürlich gerade vorbei, deshalb können wir nicht die 12 Apostel sehen, die zur vollen Stunde dann ihre Kreise ziehen.
Dafür können wir die Kettenkonstruktion mit den 12 Aposteln dann aus der Nähe betrachten, als wir das Rathaus besichtigen. Immerhin sind es ja gute Bekannte, die da aus Eisen gegossen in Ketten liegend darauf warten, alle Stunde einmal dem Volk vorgeführt zu werden.
Vom Rathaus aus gehen wir weiter nach Süden zur Bethlehemskapelle. „Für Protestanten ein Muss“, hat mir Ulrich Commercon getwittert. Seit einiger Zeit bin ich mit ihm bei Twitter und Facebook befreundet, zunächst ohne zu wissen, dass er ein durchaus angesehener SPDler ist, stellvertretender Vorsitzender im Saarland. „Nichts ist erbärmlicher als ein Mann, dessen Zeit vorbei ist“, hat er 2005 auf seine Wahlplakate geschrieben in Anspielung auf Oskar Lafontaine. Hoffentlich weiß ich einmal, wann meine Zeit vorbei ist. (Anmerkung 2021: seit vielen Jahren ist Commercon Kultusminister seines Landes)
Also Bethlehemskapelle. Leider nicht mehr das Original, aber ein sehr schöner Nachbau der Predigtkirche, die zeitweise auch Sitz der angesehenen Prager Universität war. Hier predigte und wirkte Jan Huss, bis er 1415 beim Konzil in Konstanz auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Luther entdeckte in ihm später einen Vordenker der Reformation.
Noch einmal bei Regen über die Karlsbrücke zu laufen, haben wir keine Lust. Sicher wird uns Petrus auch noch einmal gnädig gesinnt sein. Also gehen wir weiter an der Moldau entlang Richtung jüdischem Viertel. Die Pinkas-Synagoge und der jüdische Friedhof liegen als erste auf dem Weg.
Am Eingang dann die nächste Enttäuschung: „Geschlossen wegen jüdischer Ferien“. Und zwar nicht nur hier, sondern alle Synagogen und das Museum. Natürlich, heute ist der letzte Pessachtag. Aber denke mal so weit.
Im Kaffee des Museums für Kunstgewerbe machen wir eine Kaffeepause und die Liebste ersteht eine wunderschöne Brosche und glücklich ziehen wir weiter.
Inzwischen ist es Mittag. Wir beschließen, einmal dem Reiseführer zu vertrauen, der uns von dem zentral am Altstadtring gelegenen Starometska gute böhmische Küche bei durchaus akzeptablen Preisen verspricht. Und so ist es auch. Nette Kellner laufen mir überdimensionierten Tabletts auf den Schultern herum, servieren uns Zicklein mit Kloß und Ente mit Kloß und natürlich Pilsner. Köstlich und nicht teuer.
Jetzt wollen wir die Besichtigung der Teynkirche nachholen, die um 9 noch nicht geöffnet war. Wieder durch die Toreinfahrt. Wieder ein Schild „Von 13 – 15 Uhr geschlossen“. Ein Blick auf die Uhr: Kurz nach Eins, auch die Apostel haben schon wieder ihre Schleife gedreht.
Was solls? Wir machen Mittagsschlaf im Hotel und dann gehts in Richtung Jugendstil. Zuerst führe ich die Liebste natürlich zum Gemeindehaus. So etwas haben wir in meiner Gemeinde auch, aber ich muss gestehen: nicht vergleichbar.
Das Prager Gemeindehaus ist ein riesiger imposanter Jugendstilbau mit einem großen Theater, zwei herrlichen Restaurants, in die wir nur einen Blick werfen können und einer „American Bar“, in der wir genüsslich zwei Mojitos trinken.
So lässt sich’s leben. Anfang des letzten Jahrhunderts hat hier die „Neue Welt“ ersten Einlass in Prag gefunden und sogar Damen ohne Begleitung haben hier ihren Drink genommen.
Das Mucha-Museum ist nur ein paar Hundert Meter weiter. Aber Sie ahnen schon: als wir dort ankommen, ist es halb sechs und der freundliche junge Mann an der Kasse rät uns ab, noch die Karten zu kaufen.
Also noch ein Shopping-Bummel heimwärts. Bei DM erstehe ich eine Dose Nivea, die ich dringend benötige, die Liebste hätte beinahe ein Brautkleid gekauft und unterwegs erstehen wir noch eine Flasche Wein, die wir heimlich mit aufs Zimmer nehmen. Bei Wein und Chips sitzen wir noch lesend zusammen.
Anonymous 30. April 2011
Vielen Dank für diese lebhaft geschilderten Prag-Impressionen. Wenn man selbst gerade mal eine Woche vorher auf den selben Pfaden getrampelt ist, liest sich das an mancher Stelle wie das Tagebuch des eigenen Schattens 🙂
Die Touristenströme, winkenden Schirme und auch das „Trinkgeld“-Erlebnis. Dabei hattet Ihr noch Glück: Uns ereilte es am Wenzelsplatz, aber nicht mit 10, sondern fast 30 Prozent 🙁
Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Plakate war mir der Spruch über Lafo nun doch nicht wert. Auf den Plakaten der Linkspartei stand ein ähnlicher Spruch, den ich gegenüber einem SPIEGEL-Reporter dann so verballhornte. Ansonsten setze ich ja eher auf Inhalte. Schade ist halt nur, dass die „großen“ Medien dann immer nur die markanten Sprüche aufgreifen.
Ach, und noch was: Würde mich nicht wundern, wenn wir uns nächstes Jahr um Ostern zufällig in Budapest über den Weg laufen. Letztes Jahr waren wir nämlich auch in…
… Wien. 😀