„Hör auf damit. Das wächst sich sonst fest“, sagte meine Mutter früher immer, wenn ich eine Grimasse zog oder das Augenlid weit herunterzog oder gar hinkend den Mann von gegenüber nachmachte.
Einen Stinkefinger habe ich nie gemacht. So konnte er sich bei mir auch nicht festwachsen. Im Gegenteil, ich wusste noch nicht einmal, was das ist.
Wir benutzten den Mittelfinger höchstens zum Pflaumenholen, nachdem der Ringfinger sie vom Baum geschüttelt hat und das auch nur im Fingerspiel.
Kein Wunder, denn der Stinkefinger war bis in die 60er Jahre in Deutschland vollkommen unbekannt, höchstens steckte mal den Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger.
Ich muss gestehen, ich krieg die Stinkefingergeste bis heute nicht richtig hin. Bis ich die Finger in die richtige Position gequetscht habe, ist die Situation längst vorbei.
Genauso schwer ist es mir gefallen, den Pfadfindergruß hinzukriegen. Ich glaube aber trotzdem nicht, dass der mit dem Stinkefinger etwas zu tun hat.
Was auf jeden Fall nichts mit dem Stinkefinger zu tun hat, ist die Geste des Papstes, wenn er dem Volk seine Handrücken grüßend zeigt. Neulich wollte mir ein Bösewicht weismachen, dass sei der Stinkefinger in zehn Sprachen. Aber bitte, glauben Sie so einen Unsinn nicht.
Dass meine Mutter mit ihrer These vom Festwachsen Recht hatte, haben jetzt meine Recherchen im Thierreich ergeben.
Dem kleinen Aye-Aye, das vor allem auf Madagagaskar geht, ist es nämlich so ergangen. Das Aye-Aye ist ein kleiner Halbaffe, der auf Madagaskar lebt. Weil es so ein flinkes Tierchen war, konnte es immer all seinen Feinden den Stinkefinger zeigen.
Jetzt ist er ihm so festgewachsen, dass er ganz, ganz lang geworden und fast verknöchert ist.
Das ist die Strafe für seine Frechheit. Wenn es jetzt herumrennt, muss es immer seine Finger zu Fäusten zusammenballen, sonst würde ihm der Mittelfinger abbrechen.
Deshalb sagen übrigens die Seeleute auch immer „Aye Aye, Sir“, weil sie hinter dem Rücken den Finger zeigen.
Also: nehmen Sie sich in Acht. Stefan Effenberg machte sich seinerzeit wochenlang Sorgen, ob sein Mittelfinger nicht etwa festwachsen würde. Verdi-Chef Frank Bsirske zeigte neulich sogar zwei Mittelfinger. Wenn dem die Finger festwachsen und er sie dann zu Fäusten ballen muss, ist das ja aber nicht schlimm, das haben die Gewerkschafter früher oft gemacht.
Aber uns sollte das nicht passieren.
Traumschoepfer 27. November 2010
Ich lernte den Stinkefinger erst Anfang der 1980er Jahre kennen. Von einem italienischen Kellner, der bei uns arbeitete. Auf meine naive Frage hin, was das bedeuten solle, konnte – oder wollte – er mir keine Antwort geben. Benutzen werde ich ihn bis heute nicht. Ich denke, da gibt es elegantere Methoden, seinen Unmut zu äußern.
Ich wünsche Dir ein schönes Wochenende und einen besinnlichen Ersten Advent.