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Wer geht mal mit ans Wasserhäuschen?

Wenn ich aus dem Fenster gucke, sehe ich da tagaus, tagein Männer stehen. Außer am Mittwoch, da hat das Wasserhäuschen zu. Umgekehrt wird natürlich auch ein Schuh daraus: die Männer da drüben gucken tagaus, tagein – wenn sie nicht in ihr Bier gucken – auf mein Häuschen. Manchmal ist auch eine Frau dabei und manchmal auch ein, zwei Hunde.

Mittwochs, wie gesagt, hat das Wasserhäuschen zu. Dann stehen da merkwürdigerweise trotzdem Männer.

Wenn Sie mal wissen wollen, ob ich zuhause bin oder wann ich weggegangen bin, fragen Sie am besten am Wasserhäuschen. Wenn Sie mir ein Paket bringen wollen, können Sie das ruhig am Wasserhäuschen abgeben und wenn ich mal nicht da bin, fragen Sie doch mal, ob ich den Schlüssel da gelassen habe.

Wenn Sie gerade mal nicht gut bei Kasse sind, klingeln Sie einfach bei mir, da kriegen Sie einen Gutschein für ein alkoholfreies Getränk und eine Rindswurst, einzulösen am Wasserhäuschen natürlich. Und jetzt raten Sie, was für eine? Natürlich Original Gref-Voelsings. Die ist in Frankfurt eine Institution seit 1894. Wasserhäuschen gibts etwa genauso lange.

Sie sehen: insoweit ist in unserer Siedlung die Welt noch in Ordnung. Das Wasserhäuschen und die Kirche sind noch mitten im Dorf, stolz links und rechts der Hauptstraße. Alle vierzehn Tage hält hier der Stadtbüchereibus für eine Stunde.

Falls Sie – Gottbewahre – kein Frankfurter sein sollten und nicht wissen sollten, was ein Wasserhäuschen ist, können Sie das mit Leichtigkeit im Internet recherchieren. Sie werden staunen.

Soviel sei angedeutet: das Wasserhäuschen heißt nicht so, weil Mann dort Wasser lässt. Böse Zungen behaupten, es hieße so, weil man dort alles bekommen kann – außer Wasser. Aber das stimmt nicht. Es gibt dort definitiv Wasser.

Ich für meinen Teil bin augfgewachsen – wiewohl nur 30 km südlich – ohne zu wissen, was ein Wasserhäuschen ist. In Darmstadt hießen diese Institutionen „Ständsche“ – aber das weiß selbst da kein Mensch mehr.

Mein Schulweg hat mich als Kind an drei – mit einem kleinen Umweg an 4 – Ständscher, wie die Mehrzahl von Ständsche heißt, vorbeigeführt und in meiner Erinnerung ist jedes von ihnen mit einer Besonderheit verbunden. Ständche Nummer eins (neben dem Wein-Stütz) mit Wundertüten, die es da für 10 Pfennig gab. Blaue Tüten mit buntem Audruck und irgendwas meistens dämliches war drinnen. Ständche  Nummer 2 war sechseckig. Ständche Nummer drei (das mit dem Umweg) lag im Herrngarten und da gabs Eis, die Tüte auch für 10 Pfennig.
Ständchen Nummer 4 war in der Nähe der Schule und hier gabs manchmal ein Stückchen Schokolade, auch für 10 Pfennig. Wie hieß sie noch, die Schokolade, die stückweise verkauft wurde und so gut schmeckte und im Gegensatz zu zu diesem rautenförmigen, aber schön metallic-silberrot oder -blau verpackten Nappo, an dem ich mir den Schneidezahn abbrach, auf der Zunge zerging?

Jetzt stellen Sie sich vor: gerade eben habe ich bei meinen Internetrecherchen gesehen, dass dieses Ständsche letzten Monat abgerissen wurde. Immerhin stand es über 50 Jahre und hat Generationen von Schülern beglückt.

Vielleicht sollte ich abends, nach getaner Arbeit, am Wasserhäuschen ein Bier trinken. Wie stand früher groß auf die Mauer gegenüber meiner Stammkneipe gesprayt:

Besser ein stadtbekannter Säufer als ein anonymer Alkoholiker

Aber ehrlich gesagt: alleine traue ich mich nicht. Kommen Sie doch mal mit auf ein Bier und eine Gref-Völsings.

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6 Kommentare

  1. Tara-Anne 20. April 2006

    Die Schokolade, die man stückweise kaufen konnte hieß am Büdchen meiner Kindheit und meines vertrauens „Rolle“. Es ist eine Kokosschokolade und unter diesem Namen hab ich sie auch vor gar nicht langer Zeit beim Extra gesehen. Schmeckt immer noch sehr lecker und hat für mich einfach den nostalgischen Beigeschmack der Schulzeit. Meine Tochter hat sie übrigens am schuleigenen Kiosk auch bekommen und es beruhigt mich, das es offensichtlich Dinge gibt, die über Generationen einfach lecker sind und gute Gefühle auslösen.
    lG Anne

    • jahreszeiten 23. April 2006

      Stimmt genau. Rolle. Ich habe sie vor ein paar Jahren auich wieder gefunden. Aber beim Schreiben war ich nicht mehr ganz sicher, weil ich befürchtete, sie vielleicht mit „Rollo“ verwechselt zu haben, das waren die runden eingepackten Schokoladenteilchen. Wahrscheinlich gibt es die heute auch noch. Es gibt all die Süßigkeiten aus unserer Kindheit noch, sogar die herrlichen Brausestäbchen.

  2. riverjessie 13. April 2006

    Wäre manches besser frequentiert worden, müsste man heute nicht sein Verschwinden bedauern. Doch wie Loco habe auch ich Vergleiche angestellt, und die Abzockerei von Kindern ist nicht in Ordnung, für sie sind Supermärkte natürlich ein Segen – einerseits. Die andere Seite erspare ich uns heute.
    Schönen Gruß

    • jahreszeiten 23. April 2006

      In meiner Kindheit gabs noch keine Supermärkte. An der Ecke war zwar ein „Kaiser`s“ und gegenüber an der Ecke ein „Konsum“, aber die hatten beide Theken und mehr oder weniger freundliche Verkäuferinnen. Der ganze Laden hat sich schiefgelacht, als ich höflich „Frau Kaiser“ zu einer sagte. Was ich für selbstverständlich hielt, weil der Schuster nebenan auch „Herr König“ hieß.

  3. Loco_just_Loco 12. April 2006

    Wenn ich mal in der Gegend bin, gern! Ich kenne diese Lokalitäten übrigens als „Kiosk“ (auch in der französischen (:?:)Originalversion Kiosque), oder „Tante-Emma-Lädchen“. Bevorzugt fand man sie zu meiner Kinderzeit noch im Umfeld von Schulen. Dann boten sie möglicherweise auch Schulhefte und Tintenpatronen an.
    In der Ersten Klasse kauften wir manchmal Wassereis, die Tüte zu zehn Pfennig: wenn ich heute zehn Stück für 50 ct im Supermarkt sehe, halte ich die 10 Dpf für sauteuer, und dann frage ich mich, was ich mit dem gesparten Geld wohl hätte alles anstellen können, wenn ich schon damals das Eis im Supermarkt gekauft hätte statt im Lädchen.

    • jahreszeiten 23. April 2006

      Also in meiner Kindheit war „Wassereis“ teurer als Milcheis, glaube ich. Vielleicht weils verpackt war oder weils modern war. Und Tintenpatronen kamen auch gerade erst auf den Markt. Ein bisschen teurer sind die Wasserhäuschen schon, aber es war ja schon immer teurer, einen besonderen Geschmack zu haben.
      Dein Angebot finde ich nett.

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